Experte: So gefährlich sind die Reichsbürger

von Redaktion

Tobias Ginsburg schleuste sich in die Szene ein und warnt: Das sind keine harmlosen Spinner

München – Tobias Ginsburg schleuste sich für sein Buch „Die Reise ins Reich – Unter Reichsbürgern“ in die Szene ein.

Sind Reichsbürger harmlose Spinner?

Nein, diese Vorstellung ist gefährlich – und in Deutschland beschämend. Denn wir leben in einem Land, in dem deren Verschwörungsideologien Staatsraison waren: das war die NS-Diktatur. Die Reichsbürger-Szene ist nichts anderes als der Glaube, dass die Bundesrepublik gar nicht das echte, legitime Deutschland sei, sondern ein Lügen-Konstrukt der rachsüchtigen Alliierten oder der Juden.

Woher kommt eigentlich der Name Reichsbürger?

Der Neonazi Horst Mahler hat diesen Begriff geprägt, die Idee dahinter wurde jedoch gleich ab 1945 von Nazis entwickelt: Die Bundesrepublik könne nicht der legitime Nachfolgestaat des NS-Reichs sein, sondern sei ein bösartiges Konstrukt und Teil einer Weltverschwörung, die das Deutsche Volk auslöschen wolle.

Sind Reichsbürger und Rechtsextremisten dasselbe?

Die Reichsbürger-Bewegung ist tatsächlich sehr heterogen – das geht von der Mitte der Gesellschaft bis zum absoluten Rand, Junge wie Alte, hoch Gebildete bis hin zu Leuten ohne Schulabschluss. Gerade im Bereich der Esoterik sind Reichsbürger weit verbreitet. Was sie alle eint, ist der Glaube an rechtsextreme Verschwörungstheorien.

Waren Sie überrascht, dass es aus dieser Szene so konkrete Putschpläne gibt?

Nein, ganz und gar nicht! Für acht Monate bewegte ich mich durch diese Szene, in der ich klassische Neonazis, Esoterik-Anhänger, aber auch AfD-Abgeordnete traf. Und schon damals, 2018, begegnete ich etlichen, die vom Putsch träumten. Wenn man wirklich glaubt, dass die BRD ein feindliches Konstrukt ist, dann ist ja die logische Konsequenz, dass man sich dagegen wehrt. Diese Idee finden Sie auch bei der AfD, die in ihrem Parteiprogramm schrieb, Deutschland sei nicht souverän, sondern werde durch EU oder USA fremdgesteuert.

Auch Soldaten und Polizisten sollen am Putsch beteiligt gewesen sein…

Da diese Verschwörungstheorien immer mehr in der Mitte der Gesellschaft wüten, ist es nicht überraschend, dass es auch bei Polizei und Bundeswehr Anhänger gibt. Wenn man vom Putsch träumt, braucht man Soldaten – und deswegen gibt es natürlich Versuche, in den Kasernen Leute zu rekrutieren.

Viele Bürger wurden von den Verschwörern angesprochen, mitzumachen – aber niemand hat das bei den Behörden gemeldet…

Der Verfassungsschutz rechnet rund 21 000 Menschen der Reichsbürger-Szene zu, doch diese Zahl halte ich für eine total konservative Schätzung. Denn erfasst werden können nur die, die sich als Reichsbürger zu erkennen geben, indem sie etwa ihren Pass verbrennen. Aber so etwas machen ja nur Leute, die nichts mehr zu verlieren haben! Wer Familie hat und seinen Job behalten will, wird sich nicht als Verschwörungstheoretiker zu erkennen geben. Solche Sympathisanten aus dem normalen Bürgertum machen nicht gleich bei einem Putsch mit – aber von ihnen geht die größte Gefahr für unsere Demokratie aus.

Interview: Klaus Rimpel

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