Wie tief steckt die AfD im „Reichsbürger“-Sumpf?

von Redaktion

Nach der Anti-Terror-Razzia muss die Rechtspartei sich unangenehme Fragen stellen lassen

München – Es ist nicht das Jahr der AfD. Erst der Eklat um Jörg Meuthen, der lange das konservative Feigenblatt der Partei war und sie im Januar mit schweren Anschuldigungen verließ. Dann die Beobachtung durch den Verfassungsschutz im Bund und in Bayern. Und jetzt muss sich die AfD auch noch besonders unangenehme Fragen stellen lassen – es geht um ihre Verbindungen in die „Reichsbürger“-Szene.

Hintergrund ist die Zerschlagung einer mutmaßlich rechtsextremen Terrorgruppe, zu der auch die ehemalige Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann, 58, gehören soll. Nun fragt sich: Ist sie ein Einzelfall – oder gibt es tiefere Verbindungen der Partei in die Szene?

Die AfD-Spitze, sonst um keinen Kommentar verlegen, gibt sich seit den Razzien auffällig schmallippig. „Wir verurteilen solche Bestrebungen und lehnen diese nachdrücklich ab“, ließen Alice Weidel und Tino Chrupalla wissen. Man habe „vollstes Vertrauen in die beteiligten Behörden“.

Damit stehen sie aber recht alleine da. Statt sich zu distanzieren, wählen viele AfD-Mitglieder andere Strategien. Einige machen sich über die Razzien lustig, andere wittern ein abgekartetes Spiel der Behörden, um vom Mord eines Eritreers an einer Schülerin in Illerkirchberg abzulenken. Wieder andere reden die Gefahr klein. Der Münchner Bundestagsabgeordnete Petr Bystron etwa nennt die Verhafteten „Rentner“, die „nicht mal in der Lage wären, das Rathaus von San Marino einzunehmen“. Die Razzien dienten nur dazu, die Opposition einzuschüchtern.

Zufall ist das alles nicht. Die AfD wittert offenbar die Gefahr, dem Verfassungsschutz über mögliche weitere Verbindungen ins „Reichsbürger“-Lager neues Futter zu geben. Der besonders radikale thüringische Landesverband um Björn Höcke riet seinen Mitgliedern schriftlich, einschlägige Chat-Gruppen zu verlassen. Grund: In manchen dieser Gruppen werde sinngemäß kundgetan, „Wahlen oder friedliches Demonstrieren für Grundrechte würden nichts bringen und dass man nun zu anderen Mitteln greifen müsse“.

Der Höcke-Hinweis ist bemerkenswert, weil er darauf schließen lässt, dass einige Partei-Mitglieder der „Reichsbürger“-Bewegung ideologisch nahestehen. Auch der Politologe Hajo Funke spricht von großen Schnittmengen. In der „Berliner Zeitung“ warnte er vor einer Verharmlosung.

Recherchen des „Spiegel“ zeigen, dass abgesehen von der Ex-Bundestagsabgeordneten Malsack-Winkemann womöglich noch weitere AfD-Mitglieder eine Rolle in der Terror-Gruppe spielen. Unter den Beschuldigten seien „mindestens zwei weitere Männer, die auf regionaler Ebene in der AfD aktiv sind oder waren“. Bei einem Treffen von Malsack-Winkemann mit dem mutmaßlichen Rädelsführer der Gruppe, dem 71-jährigen Heinrich XIII. Prinz Reuß, in Berlin sei zudem ein AfD-Funktionär anwesend gewesen. Die Polizei überwachte die Ex-Abgeordnete wohl schon länger.

Mit Weglächeln oder Kleinreden wird sich die AfD also wohl kaum vom Verdacht tieferer Verbindungen freimachen können. Kanzler Olaf Scholz (SPD) nannte es einen „sehr schlimmen Vorfall“, dass eine ehemalige AfD-Abgeordnete unter den Verdächtigen ist. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte eine verstärkte Beobachtung durch den Verfassungsschutz. „Die AfD ist mit dieser Szene eng verwoben, personell“, sagte Söder. „Sie entwickelt sich zunehmend zu einem Sammelbecken auch gerade solcher rechtsextremer Kräfte, sie zieht sie geradezu an.“  mmä

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