Das Beben von Brüssel

von Redaktion

VON MICHEL WINDE

Brüssel – Durch einen der größten Korruptionsskandale in seiner Geschichte droht das Europaparlament schwer in Misskredit zu geraten. Eine der Vizepräsidentinnen des Parlaments, Eva Kaili, soll Geld aus dem Golfstaat Katar angenommen haben, damit sie für das WM-Gastgeberland Einfluss auf politische Entscheidungen nimmt. Die Sozialdemokratin aus Griechenland wurde zusammen mit vier anderen Verdächtigen festgenommen, am Samstag folgte eine weitere Festnahme. Gegen vier Personen wurde am Sonntag Haftbefehl erlassen – darunter auch Kaili (44). Zudem teilte die Brüsseler Staatsanwaltschaft mit, dass am Samstagabend das Haus eines weiteren Europa-Abgeordneten durchsucht wurde.

Im Raum steht neben Vorwürfen der Bestechung und Bestechlichkeit der Verdacht der Geldwäsche. Kaili wurde von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola von all ihren Aufgaben entbunden. Bislang war sie eine von insgesamt 14 Stellvertretern. Ihre sozialdemokratische Fraktion – zu der auch die SPD-Abgeordneten gehören – suspendierte ihre Mitgliedschaft. Unter den Festgenommenen sind auch ein ehemaliger sozialdemokratischer Europa-Abgeordneter aus Italien, Antonio Panzeri, sowie Kailis italienischer Lebensgefährte.

Die Vorwürfe setzten den politischen Betrieb in Brüssel unter Schock. In der EU-Hauptstadt, wo Gesetze für rund 450 Millionen Europäer gemacht werden, gehört Lobby-Arbeit selbstverständlich dazu. Nach Angaben des Vereins Lobbycontrol tummeln sich etwa 25 000 Lobbyisten in der Stadt. Sie alle versuchen, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. Doch dieser Fall ist anders, brisanter – und lässt hohe kriminelle Energie vermuten.

Seit mehreren Monaten verdächtigen belgische Ermittler nach Angaben der Staatsanwaltschaft einen Golfstaat, „die wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen des Europäischen Parlaments zu beeinflussen“. Dazu sollen hohe Geldsummen gezahlt oder teure Geschenke an Entscheidungsträger im Parlament gemacht worden sein. Aus Ermittlerkreisen wurde der Deutschen Presse-Agentur bestätigt, dass es sich bei dem Golfstaat um Katar handelt.

Kaili sitzt seit 2014 im Europaparlament, wo sie inzwischen fast bis an die Spitze Karriere gemacht hat. Der Sozialdemokrat Panzeri hatte nach seinem Abschied aus dem Parlament in Brüssel die Nichtregierungsorganisation Fight Impunity gegründet, die eigenen Angaben zufolge weltweit für Menschenrechte kämpft. Die Organisation schreibt sich auch den Kampf gegen Korruption auf die Fahnen. In Italien kamen Panzeris Ehefrau und dessen Tochter in Hausarrest.

Bei den Durchsuchungen in Brüssel wurden am Freitag insgesamt 600 000 Euro Bargeld und Handys beschlagnahmt. Später fanden Ermittler in Kailis Wohnung Medienberichten zufolge Taschen voller Bargeld. Die Zeitung „Le Soir“ schrieb, die 44-Jährige sei auf frischer Tat – „in flagranti“ – erwischt worden. Die Griechin saß bislang für die Pasok-Partei im Parlament.

Nachdem sie von ihren Aufgaben entbunden wurde, kann nur das Parlament selbst ihre förmliche Absetzung beschließen. Das könnte bereits während der heute beginnenden Plenarwoche in Straßburg erfolgen. Aus ihrer Partei wurde die ehemalige Fernseh-Moderatorin schon ausgeschlossen.

Die Enthüllungen bedeuten für das Parlament einen großen Imageschaden. Es sei offensichtlich, dass Kaili das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler aufs Spiel setze, sagte der Vorsitzende der SPD-Europaabgeordneten, Jens Geier. „Das sind schlimme Vorwürfe, und die müssen aufgeklärt werden. Anders lässt sich verloren gegangenes Vertrauen nicht zurückgewinnen.“ Parlamentsvize Nicola Beer (FDP) sagte: „Es ist völlig klar, dass das insgesamt negative Auswirkungen auf das Parlament hat.“

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