München – Es ist noch kein Jahr her, da klang Markus Söder komplett anders. Beim schnellen Ausbau der Windkraft in Bayern sei er „skeptisch“, sagte der Ministerpräsident. Bayern sei eher Sonnen- als Windland. Wenig später erfand er das böse Wort vom „Spargel-Schock“, den Hinweis auf die Hässlichkeit der Windkraft-Stangerl. Und jetzt? Steht Söder vor den Kameras und verkündet stolz, dass eines der größten Wind-Projekte in Deutschland in Südbayern geplant werde. „Es weht ein frischer Wind“, sagt der CSU-Chef.
In der Tat markiert dieser Tag die Vollendung einer 180-Grad-Wende in Bayerns Energiepolitik. Windkraft-Skeptiker und Abstandswahrer sind weggefegt, die Staatsregierung ist nun Vorkämpfer. Vorerst alles Wünsche, Pläne und Ideen, das aber weitreichend: Am Dienstag verkündet Söder, dass zwei große Windparks entstehen sollen, um Firmen mit Strom zu versorgen. In Oberfranken sollen im Staatswald 15 Windräder die Glasindustrie am Netz halten. Im Chemiedreieck bei Burghausen sind 30 bis 40 Anlagen ebenfalls im Wald geplant. Laut Söder wäre dies das größte „Onshore-Projekt“ (an Land) der Republik.
Nach früheren Angaben könnten die Anlagen im Landkreis Altötting bis zu zehn Prozent des Strombedarfs der chemischen Industrie in der Region decken. Die Branche ist extrem energiehungrig, Wacker, OMV, Linde und Co. verbrauchen hier 0,5 Prozent der deutschen Strommenge. Nun soll ein Investor für den Park gefunden werden.
Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) sieht darin den Test, ob Bayern die Energiewende auch mit Windkraft bewältige: „Das müssen wir hinkriegen.“ Genehmigungen soll es nun zügig geben. Abstandsregeln (der Standort im Chemiedreieck liegt planungsrechtlich in einem Wind-Ausschlussgebiet) sind schon aufgeweicht. Söder, der früher jeden Zusammenhang von 10H-Abstandsregel und fehlenden Windrädern verneint hatte, sagt nun, die 10H-Lockerung sei ein „Startsignal“ gewesen. Bayernweit seien jetzt bis zu 340 Projekte in Planung oder sogar kurz vor der Genehmigung. So groß ist die Begeisterung, dass er sogar Fotos von sich mit bunten Papier-Windrädern auf Twitter postet.
Der Regierungschef fordert nun von Gegnern der Projekte, auf Klagen zu verzichten. Er habe die „dringende Aufforderung an die Naturschutzverbände, ein Moratorium bei Klagen gegen erneuerbare Energie“ einzugehen. Ein „Pakt“ solle das sein. Was zumindest der Bund Naturschutz mit Stirnrunzeln aufnimmt: Noch nie habe man gegen ein Windrad geklagt, heißt es beim Landesverband. Die Energiewende sei bisher immer an Söder gescheitert.
Teil der Wende in der CSU (all das unter dem Eindruck der Energiekrise) ist allerdings: Söder hat die Lage schneller neu bewertet als seine Partei. Es brauchte einen mehrstündigen Kraftakt des Ministerpräsidenten in der CSU-Landtagsfraktion, damit die 10H-Regel, die seit 2014 galt, vor Kurzem gelockert wurde. Erleichtert wurde das dadurch, dass sich mit der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft ein einflussreicher Verband öffentlich gegen 10H stellte.
Die Opposition reagiert irritiert. Die SPD insistiert, dass einer ihrer Bürgermeister in Oberfranken der wahre Treiber des Parks sei, die CSU schmücke sich mit fremden Federn. Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann warnt, Söder werde auch dieses Versprechen brechen. Er sei gespannt, wann das Richtfest für die Windparks sei, sagt Hartmann: „Beim bisherigen CSU-Umsetzungstempo der Energiewende kommt Markus Söder dann als Polit-Pensionär ja vielleicht auch.“
CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER