Jede Menge Warnsignale

von Redaktion

VON MARC BEYER

München – Vieles ist in dieser Geschichte noch unklar, doch auf eine Facette legt Michalis Dimitrakopoulos Wert: „Es gab kein Kinderbett.“ Griechische Medien hatten berichtet, bei einer Durchsuchung der Wohnung seiner Mandantin Eva Kaili, bis gestern Vizepräsidentin des Europäischen Parlamentes, hätten Ermittler 160 000 Euro gefunden. Unter der Matratze der zweijährigen Tochter.

Das Detail würde passen zu der schillernden Erzählung, in der angeblich „Säcke voller Geld“ auch an weniger diskreten Orten auftauchten. Aber selbst wenn das Kinderbett frei erfunden wäre: Kailis Ruf dürfte nicht zu retten sein.

Ihren Posten als Parlaments-Vize ist sie los, auch wenn ihr Anwalt beteuert, Kaili habe „nichts mit Geldflüssen aus Katar zu tun, überhaupt nichts“. Mit genau einer Gegenstimme votierten die Abgeordneten für die Absetzung der Griechin. Die Fassungslosigkeit ist überwältigend, Parlamentspräsidentin Roberta Metsola sprach von „Wut, Zorn und Kummer“ angesichts der Enthüllungen.

Das klingt, als sei der Korruptionsskandal aus heiterem Himmel über das Parlament hereingebrochen. Doch gleichzeitig werden immer mehr Einzelheiten bekannt, die in der Summe kein schmeichelhaftes Bild ergeben. Weder von Kaili noch von dem gesamten System, in dem sie sich bewegte. Und man fragt sich, wie es um die Gefahrenabwehr der EU bestellt ist, wenn selbst massive Ungereimtheiten lange Zeit folgenlos blieben.

Erst jetzt heißt es, Kaili sei innerhalb der S&D-Fraktion, in der Sozialisten und Sozialdemokraten organisiert sind, wegen ihrer Positionen so umstritten gewesen, dass sie nicht wieder als Vize aufgestellt werden sollte. Schon im September sei der Beschluss gefallen. Ihr Handeln widerspreche zu häufig den Standpunkten der Fraktion.

Da ging es nicht nur um Katar. Auch innenpolitisch wurde Kaili in der griechischen PASOK-Partei schon länger misstrauisch beäugt. Ihr Wirken in Brüssel und Straßburg sowie ihre Haltung zum Golfstaat, die sie regelrecht zu ihrem Markenkern machte, erregten erst in der jüngeren Vergangenheit stärkeres Aufsehen. „Das hat sich in den letzten Wochen zugespitzt“, sagt die deutsche Parlamentsvizepräsidentin Katarina Barley unserer Zeitung. Und selbst dann „kommt man doch nicht darauf, dass eine Kollegin buchstäblich auf einem Sack voller Geld sitzt“.

Für Irritationen sorgten erst kürzlich eine mittlerweile berühmte Pro-Katar-Rede im Parlament („Historische Transformation“) und die Teilnahme an einer Abstimmung des EU-Innenausschusses zu Visa-Erleichterungen für Katar und andere Länder – obwohl Kaili dem Gremium gar nicht angehört. Unter gewissen Umständen können Nicht-Mitglieder zwar als Vertreter einspringen, doch selbst dann wirkt der Vorgang mysteriös. Im ZDF berichtete Barley, Kaili habe sich in der fraglichen Sitzung „ganz nach hinten gesetzt, weit weg von unserer Fraktion. Man könnte auch sagen: Sie hat sich versteckt.“ Der zypriotische Abgeordnete Loukas Fourlas beklagte zudem, Kaili habe versucht, einen Bericht zur Lage der Menschenrechte in Katar abzumildern.

Warnsignale hätte es also gegeben. Doch die Mechanismen, mit denen die EU Korruption zu verhindern versucht (Transparenz-Register, Meldepflichten für Treffen mit Lobbyisten, Verbot von Geschenken mit einem Wert über 150 Euro), griffen nicht. Warum das so war und was sich daraus lernen lässt, beschäftigt nicht nur die betroffene Fraktion.

Die CSU-Abgeordnete Angelika Niebler, die zur Fraktion der Europäischen Volksparteien gehört, nimmt die Fälle als Beleg, „dass wir zum Beispiel bei der Transparenz von Nichtregierungsorganisationen nachschärfen müssen“. Für sie sollten die gleichen Regeln gelten „wie für alle anderen Lobbyisten“. Die frühere Bundesjustizministerin Barley regt an, Meldeverpflichtungen auszuweiten, auch ein Ethik-Gremium und eine Anlaufstelle für Whistleblower seien denkbar.

Großen Illusionen gibt sich Barley aber nicht hin: „Da darf man sich nichts vormachen. Menschen, die bereit sind, Strafrecht zu brechen, setzen sich über Verhaltensregeln natürlich hinweg.“ Auch Niebler ahnt: „Gerade Kriminelle umgehen immer die Regeln.“

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