Garching/München – Sie kamen gestern frühmorgens zwischen fünf und sechs Uhr: Polizeibeamte klingelten und klopften an der Tür eines Hauses in Garching (Kreis München). Doch niemand machte auf, denn die 84-jährige Bewohnerin hatte nichts gehört. „Als meine Mutter im Bademantel rauskam aus dem Schlafzimmer, standen die schon mit Strahlern im Treppenhaus“, erzählt ihre Tochter Maiken Winter. Die Beamten, die im Zuge der bundesweiten Durchsuchung bei Klimaschutz-Aktivisten im Einsatz waren, hatten freilich nicht die 84-Jährige im Visier. Sie wollten offenbar Beweismaterial in den Räumen ihres Sohnes (60) sicherstellen, der zu den Klimaschutz-Aktivisten gehört und im Dachgeschoss wohnt. Wie seine Schwester unserer Zeitung berichtet, hatte er auch an Blockaden am Münchner Stachus teilgenommen.
Unabhängig davon, dass sie sich über die ihrer Meinung nach „unberechtigte Kriminalisierung“ der Klimaaktivisten empört, macht die 54-Jährige die Polizeiaktion fassungslos: „Die Polizisten wussten, dass mein Bruder nicht da ist.“ Der 60-Jährige befindet sich nämlich derzeit im präventiven Gewahrsam im Gefängnis in Landshut.
In seinem Zimmer im Dachgeschoss stellten die Polizisten nach Angaben der Schwester seinen Rechner und sein Handy sicher. „Die wissen, dass er bei unserer Mutter wohnt. Und weil er 60 ist, können sie sich ausrechnen, dass sie kein Jungspund ist.“ Dass die Mutter einen Herzschrittmacher hat, konnten die Beamten freilich nicht wissen. Maiken Winter ist so empört, dass ihre Familie juristische Schritte gegen den Einsatz erwägt – „auch wenn mir klar ist, dass es nichts bringt“. Ihre Mutter sei nach dem Einsatz „total fertig gewesen. Die hätte umfallen können.“ Die Biologin findet es zudem „extrem besorgniserregend, wenn man gegen Klimaaktivisten, die alles geben, um uns gerade noch zu retten, so vorgeht“.
Federführend für die bundesweite Aktion ist die Staatsanwaltschaft Neuruppin in Brandenburg. Polizei und Staatsanwaltschaft durchsuchten elf Wohnungen und Räume von Mitgliedern der „Letzten Generation“ in mindestens sechs Bundesländern. Geprüft werde unter anderem der Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung, teilte Staatsanwalt Cyrill Klement mit. Durchsuchungen gab es laut Klimaaktivisten in Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen.
Den Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ fehlt nach Einschätzung von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann der Rückhalt der Gesellschaft für anhaltende Blockaden. „Ich halte deren Aktionen nicht für sinnhaft“, sagte der Regierungschef gestern in Stuttgart. Man müsse prüfen, ob man die Bevölkerung mit seinen Aktionen gewinne oder verliere. „Und das ist ziemlich eindeutig. Also macht es keinen Sinn“, sagte der Grünen-Politiker. Mit ihrem Vorgehen schadeten sie der Klimabewegung, statt ihr zu nützen. Es müsse zwar mit den Klimaaktivisten geredet werden, aber sie seien „ein bisschen verbohrt“.
Unionsfraktionschef Friedrich Merz begrüßte die Razzia. Die Aktionen der Gruppe hätten „mit Klimaschutz nichts mehr zu tun“, sagte der CDU-Vorsitzende. Es gehe um gefährliche Eingriffe in den Straßen- und Luftverkehr, Nötigung, Hausfriedensbruch „und Straftatbestände gegen Leib und Leben der Bevölkerung“. Mehrfach hatte die „Letzte Generation“ eine „maximale Störung der öffentlichen Ordnung“ angekündigt. Man ziele auf die „Adern der Gesellschaft“, etwa Verkehrsverbindungen. „Dort wird es weiter an allen Ecken und Enden Unterbrechungen geben“, so einer der Mitgründer der Gruppe.