München – „Das Werk ist getan“, sagte Horst Seehofer und lud zum Spatenstich. Im April 2017 eröffneten der damalige Ministerpräsident, ein paar Politiker und Bahn-Manager feierlich und gut gelaunt die Bauarbeiten für die riesige S-Bahn-Röhre durch München. Jetzt, fünf Jahre später, sind alle, die damals dabei waren, nicht mehr in ihren Ämtern. Und statt Fest- herrscht Kater-Stimmung. Das Werk „zweite Stammstrecke“ ist nicht getan, sondern gründlich missglückt.
Was damals als Projekt für 3,2 Milliarden Euro, plus dickem Risikopuffer, versprochen war, soll jetzt das Doppelte bis Dreifache kosten. Statt Inbetriebnahme 2026 gehen ehrliche Prognosen auf 2037 bis 2040 zu. Und in der Politik beginnt das große Wüten. Am Mittwoch hat der Landtag einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, um zu klären, wer versagt oder vertuscht hat.
Dass die Kosten steigen würden, wussten viele Beteiligte schon. Ein Teil davon ist rational erklärbar: Inflation, Umplanungen, generell steigende Bau- und Rohstoffpreise. Trotzdem wurde aber das Ausmaß der Kostenexplosion offenkundig über Jahre hinweg verschwiegen – dieser Vorwurf bildet den Kern der Fragen im U-Ausschuss.
Hinweise darauf gibt es reichlich. Mindestens zwei Seiten behielten die Kosten- und Zeitpläne laufend im Blick: die Bahn, die sie bauen muss; und Bayerns Verkehrsministerium, das parallel mitrechnete. Spätestens im Jahr 2020 schlug das Ministerium Alarm, schickte einen Brandbrief an die Staatskanzlei und nach Berlin. Markus Söder, inzwischen Ministerpräsident, reagierte aber nicht. „Tricksen, Tarnen, Lügen, auch wenn es Notlügen waren“, sagt der Grünen-Verkehrspolitiker Martin Runge, der das Projekt insgesamt schon lange ablehnt. Vorwurf an Söder: Er habe im Bundestagswahljahr 2021, als er seine Kanzler-Ambitionen hegte, die schlechte Nachricht vom Münchner Milliardenloch kleinhalten wollen. Die Staatsregierung habe die Bürger „für dumm verkaufen“ wollen, sagt die SPD-Abgeordnete Inge Aures. Sie und ihre Fraktion stehen grundsätzlich hinter der Röhre.
Der U-Ausschuss startet in den nächsten Tagen. Spannend: Das elfköpfige Gremium kann tonnenweise Akten anfordern und wie ein Gericht Zeugen vernehmen. Seehofer und Söder dürfen sich auf Vorladungen freuen, dazu auch alle Verkehrsminister, was ja wegen häufiger Wechsel in Bayern eine lange Liste wird. Der Ausschuss kann allerdings konkret nichts bewirken. Am Ende wird es wie fast immer getrennte Abschlussberichte geben. Die Kosten für die vielen Sitzungen trägt der Steuerzahler. Die CSU wirft der Opposition daher vor, ihr gehe es nur um Inszenierung und Krawall im Wahljahr 2023. „Vorverurteilungen, Verleumdungen, Diffamierung“, schimpft CSU-Fraktionsmanager Tobias Reiß.
Einen Vorgeschmack darauf gibt am Mittwoch die U-Ausschuss-Debatte im Plenum. Der FDP-Abgeordnete Sebastian Körber wirft Söder vor, die Sitzung zu schwänzen und statt dessen zeitgleich in der Landtagsgaststätte zu sitzen. Er habe wohl „nicht den A… in der Hose, dass er sich hier hinsetzt“. Im Parlament schlagen da die Emotionen hoch.
Das gilt auch für den zweiten U-Ausschuss, der gestern eingeleitet wurde. Hier geht es um die sehr hohen Mietkosten für das Deutsche Museum in Söders Heimatstadt Nürnberg. Vermieter ist ein CSU-Parteispender. Auch der Rechnungshof hatte hier Zweifel angemeldet.
Beide Ausschüsse stehen unter Zeitdruck, weil sie im Herbst mit der Legislaturperiode automatisch enden.
CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER