Positiverer Blick auf Einwanderung

von Redaktion

VON SEBASTIAN HORSCH UND MARTINA HERZOG

München – Es ist eine Watschn aus Übersee. Das international beachtete „Wall Street Journal“ hat der deutschen Migrationspolitik ein verheerendes Zeugnis ausgestellt. Die Industrienation im Herzen Europas lasse zwar vergleichsweise viele Migranten ins Land, könne davon aber kaum profitieren.

Demnach braucht Deutschland wegen des Fachkräftemangels eigentlich jedes Jahr 400 000 qualifizierte Zuwanderer. Doch: „Offizielle Daten zeigen, dass nur etwa ein Drittel der rund 800 000 Syrer und Afghanen im erwerbsfähigen Alter in Deutschland einen steuerpflichtigen Job haben“, rechnet die Zeitung vor. Das liege vor allem daran, dass die meisten nicht die nötige Ausbildung oder Erfahrung mitbrächten – und diese in Deutschland auch nicht bekämen. „Viele Geflüchtete sind für den deutschen Hochqualifizierten-Arbeitsmarkt schlecht geeignet und Deutschland ist nicht gut darin, sie auszubilden“, urteilt das „Wall Street Journal“.

Der Ampel-Regierung traut das Blatt nicht zu, dieses Problem zu lösen. Deutschland werde „wahrscheinlich weiterhin viele Asylbewerber aufnehmen, die es nicht beschäftigen kann, die die Reihen der Sozialhilfeempfänger füllen oder die Kriminalstatistik ankurbeln werden, wo sie bereits überrepräsentiert sind“.

Auch wenn zur Einordnung festgehalten werden muss, dass vom „Wall Street Journal“ schon von seiner recht konservativen Grundausrichtung her keine Lobeshymnen auf eine liberale Migrationspolitik zu erwarten sind: Ein solcher Verriss tut weh. Zumal die Außenansicht aus dem traditionell wohl bedeutendsten Einwanderungsland der Welt kommt.

Doch ungeachtet der fraglos vorhandenen Probleme haben viele Deutsche offenbar einen weitaus positiveren Blick auf die Einwanderung in ihr Land und deren Folgen als das „Wall Street Journal“ – und das mit steigender Tendenz, wie eine am Mittwoch vorgestellte Untersuchung des Sachverständigenrates für Integration und Migration (SVR) nahelegt. Demnach fällt die Haltung zu Fragen rund um Einwanderung und Integration in Deutschland positiver aus als in den vergangenen Jahren – trotz der jüngsten Herausforderungen. „Die Corona-Pandemie, aber auch die Folgen des Ukraine-Kriegs mit erneuten Fluchtbewegungen sowie die Energieversorgungs- und -preiskrise haben den Daten zufolge keinen erkennbaren negativen Einfluss auf das Zusammenleben im Einwanderungsland Deutschland“, erklärt SVR-Vorsitzende Petra Bendel.

Das Expertengremium untersucht mit dem sogenannten Integrationsklima-Index Erfahrungen und Einschätzungen von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zu den Bereichen Arbeit, Bildung, soziale Beziehungen und Nachbarschaft. Der Index bildet eine Skala mit Werten von 0 bis 100 ab, wobei höhere Werte für ein besseres Integrationsklima stehen. Werte über 50 drücken dabei eine tendenziell positive, Werte unter 50 eine tendenziell negative Wahrnehmung aus. Mit 68,5 Punkten erreicht der bundesweit repräsentative Index in der aktuellen Ausgabe den höchsten Wert seit 2015. Insbesondere bei Menschen ohne Migrationshintergrund verbesserte sich das Integrationsklima, und zwar im Vergleich zur letzten Erhebung 2019/2020 um 2,5 Punkte auf 68,1. Bei Befragten mit Migrationshintergrund erhöhte sich der Index moderater um 1,3 auf 70,1 Punkte.

Die meisten empfinden der Untersuchung zufolge das Zusammenleben mit Menschen unterschiedlicher kultureller Hintergründe als bereichernd, über 90 Prozent zeigten sich damit laut SVR zufrieden. Insgesamt bewerten demnach besonders jüngere Menschen, Frauen und Personen mit höherem Bildungsniveau das Integrationsklima tendenziell positiver.

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