Kriegs-Flüchtlinge wollen arbeiten

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

München/Berlin – Es ist dieses eine Thema, an dem sich Friedrich Merz vor einem Vierteljahr kräftig die Finger verbrannt hat. Von „Sozialtourismus“ der Ukraine-Flüchtlinge sprach der CDU-Chef, eine „größere Zahl“ mache sich das deutsche Sozialsystem zunutze, reise munter zwischen den Ländern hin und her. Ein öffentlicher Aufschrei war die Folge, Behörden, Politiker und sogar Busunternehmer betonten, keine Anzeichen für Missbrauch zu haben. Merz ruderte öffentlich zurück, bat „in aller Form um Entschuldigung“.

Er fasst das Thema seither kaum noch an. Doch bei vielen in Politik und Gesellschaft ist ein flaues Gefühl geblieben: dass es doch ganz gut wäre, genauere Daten zu haben über die gut eine Million Menschen, die aus der überfallenen Ukraine zu uns gekommen sind. Weil es in Deutschland für diese Flüchtlinge eine enorme Hilfswelle gab, Hunderttausende ihre Gästezimmer öffneten – weil sich aber öfter Neiddebatten oder Vorwürfe in die Diskussion mischen und gute, aber auch schlechte Erfahrungen die Runde machen. Jetzt liegt die erste wissenschaftlich fundierte, repräsentative Studie zu den Flüchtlingen vor.

Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) hat mit mehreren Ämtern, Behörden und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung 11 200 geflüchtete Ukrainer befragt. „Ermutigend“ sei das Ergebnis, befindet BiB-Direktorin Katharina Spieß. Für einige Zahlen trifft das zu, bei manchen ist das Interpretationssache. Beispiel Sprache: Acht von zehn Geflüchteten haben noch (fast) keine Deutschkenntnisse. Aber die Hälfte der erwachsenen Ukrainer macht Sprachkurse. Das Bildungsniveau ist sehr hoch: 72 Prozent haben einen Hochschulabschluss. Allerdings hapert es noch immer am Arbeitsmarkt. Erst 17 Prozent der Geflüchteten im erwerbsfähigen Alter haben eine Stelle. Von ihnen wiederum sind drei Viertel dafür in Jobs, die einen Berufs- oder Hochschulabschluss voraussetzen.

Für die politische Debatte ist das zentral – möglichst viele Ukrainer ins Arbeitsleben zu integrieren. Erhoffter Nebeneffekt: Sozialausgaben senken, den Fachkräftemangel lindern. Die Kriegsflüchtlinge sind da gegenüber anderen privilegiert: Sie dürfen sofort arbeiten, erhalten aber auch Hartz IV statt (niedrigere) Leistungen aus dem Asylbewerbergesetz, dazu Kindergeld, Elterngeld, Bafög. Ist da der Anreiz, Arbeit aufzunehmen, hoch genug? Laut der Studie wollen immerhin 78 Prozent arbeiten. Drei Viertel der erwerbslosen Flüchtlinge sind arbeitslos gemeldet und sind damit im Vermittlungs-System der Job-Center. Problem in vielen Fällen: Mütter, die mit ihren Kindern geflohen sind, bleiben oft daheim. 80 Prozent der erwachsenen Geflüchteten sind Frauen; von ihnen lebt die Hälfte mit minderjährigen Kindern in einem Haushalt.

„Sie wollen sich jetzt erst mal vorrangig um ihre Kinder kümmern in diesem für sie fremden Land“, sagt auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Es sei insgesamt noch recht früh, die Erwerbsquote zu beurteilen. Es gebe weiterhin leider sehr große Unsicherheit, wie es mit dem Krieg weitergehe. „Jedenfalls erwarte ich mir von den erwerbsfähigen Ukrainern, die längerfristig bei uns bleiben wollen, dass sie hier auch selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen.“ Herrmanns Sorge: Wenn die Ampel 2023 Hartz IV auf Bürgergeld umstellt, dürfe die höhere Unterstützung nicht dazu führen, auf eine Arbeitsstelle zu verzichten.

Seine Hoffnung, die die Studienautoren teilen: dass mit Sprachkenntnissen die Beschäftigungsquote steigen wird. Die Flüchtlinge aus der Ukraine sind eher jung (im Schnitt 28 Jahre) und gesund (nur 10 Prozent stufen ihren Zustand als schlecht ein).

Eine Schlüsselfrage dafür ist: Wo sehen sie ihre Zukunft? Die Studie ermittelt, dass 34 Prozent bis Kriegsende hierbleiben wollen; 26 Prozent für immer, 11 Prozent maximal für einige Jahre; gut ein Viertel ist unentschlossen. Die große Mehrheit – 76 Prozent – hat sich bei der Ankunft willkommen gefühlt.

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