Er war ein erfolgreicher, beliebter Oberbürgermeister von Istanbul. Dann wurde er unter fadenscheinigen, politisch motivierten Gründen verhaftet… Nein, die Rede ist nicht vom CHP-Politiker Ekrem Imamoglu, der jetzt in einem Farce-Urteil zu einer Haftstrafe und zu politischer Untätigkeit verurteilt wurde. Recep Tayyip Erdogan selbst, damals Istanbuls Bürgermeister, wurde 1998 wegen seines politischen Erfolges nach einem politischen Urteil ins Gefängnis geworfen.
Das verhinderte nicht, dass Erdogans AKP 2002 die Parlamentswahl gewann. Die damalige eigene Erfolgsgeschichte sollte Erdogan also eigentlich eine Warnung sein. Nun hat er nämlich das getan, was seine politischen Gegner damals mit ihm versuchten: Erdogan lässt den beliebten Oberbürgermeister der türkischen Metropole wegsperren, um so seinen gefährlichsten Gegner bei der Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr aus dem Weg zu räumen. Das Urteil zeigt, dass diese Erdogan-Türkei kein Rechtsstaat mehr ist. Aber es zeigt auch, wie sehr dem 68-Jährigen das Wasser bis zum Hals steht. Erst seine Ankündigung, nur noch einmal antreten zu wollen, dann wüste Angriffs-Drohungen gegen Griechenland – und nun dieses politische Urteil: Erdogan zieht alle Register, um das Ruder herumzureißen. Letztlich wird er vor keinem Betrug zurückschrecken, um sich an der Macht zu halten. Angesichts der Bedeutung des Nato-Staats im Ukraine-Krieg und in der Flüchtlings-Frage ist dieser angeschlagene Präsident brandgefährlich.
Klaus.Rimpel@ovb.net