München/Kiew – Ukrainische Militärs fürchten, dass Russland nach Weihnachten eine Großoffensive starten wird – und dabei auch erneut versuchen wird, Kiew zu erobern. Russland ist dabei, eine neue Armee aufzustellen, so der ukrainische General Waleri Saluschnyj. „Die Russen bereiten rund 200 000 neue Truppen vor“, erklärte der General dem britischen „Economist“. „Ich habe keinen Zweifel daran, dass sie Kiew erneut angreifen werden.“ Die russische Industrie sei für den Krieg umgerüstet worden und produziere auf Hochtouren Munition und Waffen, so Saluschnyj.
Russland will dabei auch von Weißrussland aus vorrücken – aber noch weigert sich der dortige Diktator Alexander Lukaschenko, auch mit eigenen Truppen in den Krieg einzugreifen. Russlands Präsident Wladimir Putin reist am Montag nach Belarus – wohl auch, um Lukaschenko zur stärkeren strategischen Zusammenarbeit zu drängen. Belarus stellt russischen Truppen Militärstützpunkte für Angriffe zur Verfügung, wehrt sich aber gegen den Vorwurf, Kriegspartei zu sein. Lukaschenko will vor allem verhindern, dass Russland sein Land einfach schluckt. Zudem fürchtet er ein Wiederaufflammen der Proteste in seinem Land, sollte er belarussische Reservisten einziehen lassen.
Am Freitag überzog Russland die Ukraine mit den schwersten Luftangriffen seit Wochen. Die Metro in Kiew stellte den Verkehr ein, sie diente als Bunker. In der Hauptstadt fielen Licht, Wasser und Heizung aus. Die Präsidialverwaltung in Kiew teilte mit, dass landesweit auf Notversorgung im Energiebereich umgestellt werde.
Bei dem Raketenschlag fing die ukrainische Flugabwehr eigenen Angaben zufolge knapp 80 Prozent der Geschosse ab (60 von 76). Die ukrainische Regierung wirft Russland „Terror“ vor – mit dem Ziel, das Land in Dunkelheit und Kälte zu stürzen. Durch den neuerlichen Beschuss sei das Stromdefizit im Land deutlich gewachsen, teilte der Stromversorger Ukrenergo weiter mit.
In der Hauptstadt Kiew sagte Bürgermeister Vitali Klitschko, dass noch mehr Einrichtungen mit autonomer Stromversorgung für den Notfall geöffnet werden sollten. Die Menschen können in solchen durch Generatoren betriebenen Punkten etwa ihre Mobiltelefone oder Powerbanks aufladen.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg verurteilte die neuen Angriffe scharf. Dass Präsident Wladimir Putin versuche, Menschen die Versorgung mit Wasser, Strom und Heizung zu nehmen, stelle einen bewussten Angriff auf Zivilisten dar. Der Kremlchef versuche so, das ukrainische Volk zu brechen. Das werde aber nicht gelingen. „Die Geschichte zeigt uns, dass solche brutalen Angriffe auf Zivilisten den Widerstandswillen nicht schwächen – es ist höchstens umgekehrt.“
Russlands früherer Präsident Dmitri Medwedew drohte derweil mit Angriffen auch auf Nato-Länder. Streitkräfte und Objekte in Ländern, die offiziell im Krieg mit Russland stünden oder Verbündete des Gegners seien, stellten legitime Ziele für einen Angriff dar, schrieb Medwedew, der Vizechef des russischen Sicherheitsrates ist, in seinem Telegram-Kanal. Dazu zählt er auch die Nato: „Die Führer der Nato-Staaten behaupten einstimmig, dass ihre Länder und die ganze Allianz nicht gegen Russland kämpfen.“ Das stimme nicht. kr/dpa