Ein dankbarer, fordernder Gast

von Redaktion

VON MARC BEYER

Washington/München – An Symbolik herrscht an diesem Tag kein Mangel. Ganz am Ende seiner Rede vor dem US-Kongress erhält Wolodymyr Selenskyj eine amerikanische Flagge überreicht, handlich zum Dreieck gefaltet. Der Gast wiederum hat ein Banner seines Landes mitgebracht, eines, das ukrainische Soldaten bei seinem jüngsten Besuch im schwer umkämpften Bachmut mit Widmungen versehen haben. Beeindruckende Bilder sind das, mit einer Botschaft, die sehr leicht zu verstehen ist.

Nur ein paar Stunden ist Selenskyj in Washington, aber dass er überhaupt diese Reise auf sich genommen hat, trotz aller Gefahren, wird ihm hoch angerechnet. Zwei Minuten und 19 Sekunden applaudieren die Abgeordneten stehend, als er ans Pult tritt.

Die Bedeutung von Bildern und Gesten ist das eine. Selenskyj weiß, dass ohne die massive Unterstützung der USA der Krieg längst beendet und sein Land besiegt wäre. Doch auch nach 300 Tagen sei man nicht nur immer noch am Leben, sondern quicklebendig: „Die russische Tyrannei hat die Kontrolle über uns verloren.“ Immer wieder dankt er dann auch für die Solidarität und den Rückhalt.

Der zweite große Zweck dieser Reise besteht freilich darin, dafür zu sorgen, dass sich an dieser Unterstützung nichts ändert. In Washington trifft Selenskyj nicht nur auf Vertreter der Demokraten, die – ganz überwiegend jedenfalls – die milliardenschweren Hilfen nicht infrage stellen, sondern noch ausweiten wollen. Joe Biden, der demokratische Präsident, versichert seinem Gast: „Sie waren niemals allein – und Sie werden niemals allein sein.“

Die Signale aus den Reihen der Republikaner, die in schwierigen Zeiten einen Teil der Hilfen – inzwischen über 20 Milliarden Dollar – gerne an die eigenen Bürger umleiten würden, klangen da zuletzt schon bedrohlicher. Ihnen präsentiert sich der ukrainische Präsident im Kongress als ein Mann, der sich seiner Verantwortung bewusst ist, sei es für die Leben seiner Landsleute oder für die Dollar-Milliarden aus den USA. „Ihr Geld ist keine wohltätige Spende“, betont er. „Es ist eine Investition in die globale Sicherheit und Demokratie.“ Der Krieg in seiner Heimat sei nicht beschränkt auf die Region oder den europäischen Kontinent. „Dieser Kampf wird darüber bestimmen, in welcher Welt unsere Kinder und Enkel leben.“ Die Ukrainer kämpften stellvertretend für die westliche Welt gegen eine Autokratie.

Die Hoffnung, dass dieser Krieg bald beendet sein könnte, ist nicht sehr groß. Biden bescheinigt seinem Gast, der sei „zu einem gerechten Frieden“ bereit – „aber der andere, Putin, ist es nicht“. Selenskyj wiederum äußert am Abend im Kongress den Wunsch, dass die USA sein Land nicht nur mit dem Patriot-Luftabwehrsystem ausrüsten, sondern über offensivere Waffensysteme nachdenken. „Ich kann Ihnen versichern, dass ukrainische Soldaten dazu in der Lage sind, amerikanische Panzer und Flugzeuge zu bedienen.“

Auch in Deutschland löst Selenskyjs Auftritt eine neue Debatte über Waffenlieferungen an Kiew aus. CSU-Generalsekretär Martin Huber forderte bei RTL und n-tv, Patriots aus Bundeswehr-Beständen an die Ukraine zu liefern. Gleiches gelte für Leopard-Kampfpanzer. Aus der Bundesregierung kamen gestern Signale in diese Richtung. Man werde „im Zuge der Patriot-Lieferung auch bei uns noch mal schauen, was wir weiteres liefern können, weil wir wissen, dass diese Luftverteidigungssysteme Leben retten“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock.

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