„Interpol hat hier nichts zu melden“

von Redaktion

Weshalb der antisemitische Verschwörungserzähler Attila Hildmann in der Türkei ungestört weiterhetzen kann

Berlin – Attila Hildmann wird per Haftbefehl gesucht – und sein Aufenthaltsort in der Türkei ist bekannt. Dennoch will die Justiz kein Auslieferungsersuchen für Deutschlands wohl bekanntesten Verschwörungstheoretiker stellen. Ein Erklärungsversuch.

Will man das Wirken von Attila Hildmann beschreiben, blickt man am besten auf den Online-Shop Hexogen Outdoor & Survival, den der 41-Jährige regelmäßig auf seinem Telegram-Kanal bewirbt. Dort gibt es die Produkte des einstigen Starkochs, etwa vegane Gummibärchen („Naschen für den Tierschutz“), Gemüsebolognese und Chili sin Carne – aber auch Schlagstöcke, Armbrüste und Stacheldraht. Ein gut sortierter Bauchladen für Verschwörungsgläubige, betrieben von einem NPD-Politiker.

Wovor die Leute Angst haben sollen, beschreibt Hildmann in hunderten Posts auf seinem Kanal: „Eindecken mit Ausrüstung bevor Blackout und Plünderungen im BRD-Gulag starten“ warnt er, „sie werden den Blackout durchführen, seid vorbereitet“, bewirbt er eine Notfallbatterie. Tenor von Hildmanns Weltbild: Die Bundesrepublik gibt es nicht, Grüne, Juden und Kommunisten machen Politik gegen Türken und Deutsche.

Seine Aussagen haben den bekannten Autor veganer Kochbücher in den Fokus der Justiz gerückt: Wegen Volksverhetzung, Verdacht auf öffentlichen Aufruf zu Straftaten und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sollte Hildmann verhaftet werden. Doch ihm gelang – mutmaßlich durch einen Tippgeber – die Flucht ins Ausland.

Von dort verkauft er weiter tierfreundliche Gummibärchen und hetzt gegen das „Weltjudentum“. Der internationale Haftbefehl – ergebnislos. Hildmann blieb verschollen. Bis im Oktober 2022 ein Team des „Stern“ ihn gemeinsam mit einer Gruppe Hobbydetektive in der türkischen Kleinstadt Kartepe aufspürte – und den Behörden meldete. Spätestens jetzt hätte die türkische Polizei gemäß Auslieferungsabkommen tätig werden müssen. Doch Hildmann fühlt sich sicher, wie er auf Telegram schreibt: „Ich bin ein Yldirim, mein echter Name (Hildmann wurde adopdiert, Anm. d. Red.)! Das weiss auch Interpol, aber die haben hier nichts zu melden wegen ,Hatespeech‘“ (englisch für Hassrede, Anm. d. Red.). In der Tat macht die türkische Justiz offenbar keine Anstalten, Hildmann festzunehmen. Die deutschen Beamten sehen sich chancenlos: „Auslieferungsersuchen ins Blaue hinein werden hingegen nicht gestellt“, so ein Sprecher der Berliner Generalstaatsanwaltschaft gegenüber dem „Stern“. Laut der Journalistin Tina Kaiser, die an der Hildmann-Suche beteiligt war, liegt der Verdacht nahe, dass er von der türkischen Regierung gedeckt wird: „Er filmte sich auch auf Ausflügen in Istanbul und mit seinem Auto, machte Witze, wo die Zivilfahnder denn blieben? Es schien, als habe ihm jemand gesagt, er brauche sich keine Sorgen zu machen“, so Tina Kaiser.

In der Tat stilisiert Hildmann den türkischen Präsidenten als großen Anführer: „Erdogan ist die absolute Nummer 1 in der Weltpolitik mit Abstand“, so Hildmann auf Telegram, die Türkei unter Erdogans rechtskonservativer Partei AKP ein Bollwerk gegen die „Neue Weltordnung“, ein bei Verschwörungserzählern beliebtes Umsturz-Szenario.

Erdogan könnte sein gesuchter Wahlhelfer nur recht kommen, wegen horrender Inflationsraten steht der Präsident stark unter Druck – den er mit politischen Manövern abzulassen versucht: So blockiert die Türkei mittels Veto den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands, weil diese sich weigern, politische Gegner Erdogans auszuliefern. Die gibt es auch in Deutschland, sagt der Linke- Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko: Erdogan werde versuchen, Hildmann „als Druckmittel einzusetzen, um im Gegenzug türkische Oppositionelle aus Deutschland ausgeliefert zu bekommen“, so Hunko gegenüber dem „Stern“. MATTHIAS SCHNEIDER

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