München/Berlin – Die Ministerin ist nicht gut zu verstehen. Es kracht und scheppert um sie herum, hinter ihr steigen heulend Silvester-Raketen in den Berliner Nachthimmel. „Mitten in Europa tobt ein Krieg“, sagt Christine Lambrecht mit vom Wind zerzausten Haaren in die Kamera. Die SPD-Politikerin steht alleine auf einem menschenleeren Platz. „Damit verbunden waren für mich ganz viele besondere Eindrücke, die ich gewinnen konnte“, fährt sie fort. „Viele, viele Begegnungen mit interessanten, mit tollen Menschen.“ Und man fragt sich, ob sie immer noch vom Kriegsjahr spricht, oder von ihrer Silvester-Party.
Auch zwei Tage später sorgt dieses Video nicht nur im politischen Berlin für Gesprächsstoff. Wie kann die deutsche Verteidigungsministerin so eine Kulisse für ihre Jahresbilanz wählen, während vor der Haustür der EU nicht nur an Silvester Raketen fliegen? Wieso spricht sie in Zusammenhang mit diesem Krieg von ihren tollen Begegnungen – und nicht vom Leid der Menschen in der Ukraine? Und wieso ist dieser kurze Film auch handwerklich so schlecht gemacht? Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagt am Montag, es handele sich um ein privat aufgenommenes Video, für das keine Ressourcen des Ministeriums verwendet worden seien. Hat sich Lambrecht also spontan zu dieser Ansprache über Instagram entschlossen?
Der Spott der politischen Konkurrenz ist ihr sicher. „Dieses Video spricht für sich. Was für eine Peinlichkeit, was für eine Fehlbesetzung“, schreibt CSU-Verteidigungsexperte Florian Hahn auf Twitter. Der ehemalige CDU-Chef Armin Laschet weist an selber Stelle darauf hin, dass Lambrechts Instagram-Auftritt auch im Ausland für Verwunderung sorge. „Ist dem Bundeskanzler eigentlich die Wirkung Deutschlands in Europa und der Welt völlig egal?“, fragt er. Und CDU-Verteidigungspolitikerin Serap Güler legt Kanzler Olaf Scholz (SPD) sogar nahe, Lambrecht zu entlassen.
Auch aus den eigenen Reihen kommt kaum Unterstützung. Die Bundesregierung will sich am Montag nicht zu Lambrechts Video äußern. „Ich sehe jetzt keinen Anlass, das hier zu bewerten“, sagt die stellvertretende Regierungssprecherin. Auch Lambrechts eigener Sprecher des Verteidigungsministeriums sagt inhaltlich nichts dazu. „Die Worte der Ministerin im Video stehen für sich. Es ist nicht an mir, das zu kommentieren.“ Auch die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Ampel-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), äußert sich distanziert: „Das betreffende Neujahrsvideo ist eine Sache der Ministerin und ihres Kommunikationsstabes. Ich selbst finde das Setting etwas unglücklich. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.“
Es ist nicht das erste Mal, dass Lambrecht als Verteidigungsministerin in der Kritik steht. Dabei hatte sie vor der Wahl schon ihren Rückzug aus der Politik angekündigt. Als das Ergebnis für die SPD dann doch besser ausfiel als damals erwartet und ihre Partei nicht in die Opposition musste, blieb auch Lambrecht. Und Scholz – der Geschlechter-Parität im Kabinett versprochen hatte – konnte die frühere Justizministerin als Frau mit Regierungserfahrung gut brauchen.
Seither läuft es nicht rund. Zu Beginn ihrer Amtszeit machte Lambrecht klar, dass sie eigentlich keine Lust hat, sich mit den vielen Dienstgraden der Bundeswehr zu beschäftigen. Bei einem Truppenbesuch in Mali trat sie in offenen Schuhen mit Absätzen auf. Und im vergangenen Frühling nahm sie ihren Sohn im Bundeswehr-Hubschrauber mit nach Sylt – man verband die Dienstreise mit einem kleinen Urlaub. Zudem läuft die Beschaffung für die Bundeswehr (Stichwort „Zeitenwende“) schleppend.
Trotz alledem nahm Scholz Lambrecht in Schutz. „Die Bundeswehr hat eine erstklassige Verteidigungsministerin“, sagte er im Dezember der „SZ“. Am Montag aber schweigt auch der Kanzler.