Washington – Bei der Wahl des Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses hat der Republikaner Kevin McCarthy eine bittere Schlappe erlitten. McCarthy verfehlte bei der Abstimmung in der konstituierenden Sitzung der Parlamentskammer am Dienstag auch im zweiten Wahlgang die erforderliche Mehrheit für das mächtige Amt in den USA. Es ist das erste Mal seit hundert Jahren, dass mehr als ein Anlauf nötig ist und eine Fraktion ihren Kandidaten nicht im ersten Durchgang ins Amt wählt.
Nach den Parlamentswahlen im November kam der Kongress am Dienstag erstmals in neuer Konstellation zusammen. Die Republikaner übernahmen die Kontrolle im Repräsentantenhaus – im Senat haben die Demokraten von Präsident Joe Biden weiter eine knappe Mehrheit. Der erbitterte interne Kampf der Republikaner um die Führung im Repräsentantenhaus wütet seit Wochen. Nun kam es aber für McCarthy noch schlimmer als erwartet.
Der Posten des Vorsitzenden in der Kammer, den in den vergangenen Jahren die Demokratin Nancy Pelosi innehatte, steht in der staatlichen Rangfolge der USA an dritter Stelle nach dem Präsidenten und dessen Vize. Üblicherweise ist die Wahl eine Formalie. Doch mehrere Parteikollegen lehnten sich gegen McCarthy auf und hatten bereits vor der Wahl deutlich gemacht, nicht für McCarthy stimmen zu wollen. Dieser machte etliche Zugeständnisse an seine Gegner, denn angesichts einer knappen Mehrheit der Republikaner in der Kammer ist er auf fast jede Stimme angewiesen.
Für McCarthy ist seine Niederlage in den beiden Wahlgängen eine öffentliche Bloßstellung, die auch die Zerrissenheit der Partei zeigt. Es ist hundert Jahre her, dass ein Kandidat bei der Abstimmung zum Vorsitz im Repräsentantenhaus nicht im ersten Wahlgang die nötige Mehrheit erreichte: 1923 waren neun Wahlgänge nötig, um einen Vorsitzenden zu bestimmen. Damals dauerte das Ganze mehrere Tage.
Bis Redaktionsschluss blieb offen, wie viele Abstimmungen notwendig sein werden, um einen neuen Vorsitz für die Parlamentskammer zu wählen. Unklar war auch, ob sich die Wahl über mehrere Tage ziehen wird. Jeder Wahlgang ist langwierig, weil alle Abgeordneten einzeln aufgerufen werden, um ihren Wunsch-Kandidaten zu benennen.
Die Wahl des Vorsitzenden ist die erste große Amtshandlung eines neu gewählten Repräsentantenhauses. Und bis der Vorsitz geklärt ist, geht gar nichts: Die Kongresskammer kann nicht ihre Arbeit aufnehmen, nicht mal die neuen Abgeordneten können vereidigt werden.
McCarthy kam im ersten und zweiten Durchgang bei der mündlichen Abstimmung lediglich auf 203 von 434 abgegebenen Stimmen – 218 hätte er gebraucht. 19 Parteikollegen verweigerten ihm in beiden Anläufen die Stimme. Zuvor war erwartet worden, dass gut ein Dutzend Parteikollegen nicht hinter ihm stehen würden.
Auch wenn sich McCarthy am Ende durchsetzen sollte, wird er geschwächt aus dem Gerangel hervorgehen und muss sich in den kommenden Jahren auf Schwierigkeiten einstellen bei der Organisation von Mehrheiten. CHRISTIANE JACKE