Das große Hoffen auf „El Presidente“

von Redaktion

Zehntausende in El Paso festsitzende Migranten wollen von Joe Biden Amnestie und Arbeit – Vielen droht Abschiebung

El Paso – Das Ritual rund um die katholische Kirche „Sacred Heart“ inmitten eines wenig einladenden Gewerbeviertels in der texanischen Grenzstadt El Paso wiederholt sich jeden Morgen. Hunderte Männer und Frauen aus Lateinamerika, die illegal die Grenze zu den USA überschritten haben, schälen sich aus Decken des Roten Kreuzes oder verlassen die Stadtbusse, die der Bürgermeister als fahrbare Wärmeräume bereitstellt, seit die Temperaturen nachts auf den Gefrierpunkt sanken. Keiner der Flüchtlinge, die vor allem aus Venezuela stammen, bewegt sich weit vom Kircheneingang fort. Denn wer von der US-Grenzpolizei aufgegriffen wird, dem droht nach einem neuen Regierungserlass die sofortige Rückführung nach Mexiko. Die Kirche aber gilt noch als Refugium.

Am Sonntag nun stoppt erstmals Präsident Joe Biden – auf dem Weg zu einem zweitägigen Gipfel in Mexiko – für vier Stunden in El Paso, wo der konstante Ansturm schon lange Aufnahmezentren und Freiwillige überfordert. Er wolle nicht nur mit Grenzbeamten, sondern auch mit Flüchtlingen reden, sagte Biden vor dem Abflug. Was diese „El Presidente“ sagen würden? „Mr. Biden, bitte geben Sie uns Amnestie.“ Sie hoffen auf ein besseres Leben – in der Legalität.

Doch dafür fehlt dem Weißen Haus die parlamentarische Macht. Die Republikaner reden von einer „Invasion“ und werfen Biden vor, an der Grenze zu versagen. Seit Amtsantritt des Demokraten im Januar 2021 haben Schätzungen zufolge bis zu fünf Millionen Menschen illegal die US-Südgrenze überschritten. Eine einheitliche Behandlung gibt es nicht: Ein Teil wurde abgeschoben, ein anderer Teil schaffte es trotz grenznaher Kontrollstellen auf den Autobahnen irgendwie in den Osten und Norden der USA, wobei New York und Florida die bevorzugten Ziele sind. Und Zehntausende stellten einen Asylantrag – und kamen entweder in den USA frei oder zum Warten nach Mexiko geschickt. Ein Flickenteppich an verwirrenden Maßnahmen.

Aus den Schlafsäcken gepellt haben sich an diesem Sonntagmorgen auch Raj (29), Gabriel (26) und Denis (29) aus Venezuela. Vor Monaten bereits haben sie ihre gefährliche Reise ins gelobte Land USA begonnen, berichten sie dem Reporter. Mehrere Wochen verbrachten sie in Bussen und ungeheizten Güterzügen, die sie durch Kolumbien, Panama, Costa Rica, Nicaragua, Honduras und Guatemala bis nach Mexiko brachten. Dort fanden sie dann eines der zahlreichen Löcher in der Grenzabsperrung. In ihrer Heimat – dem sozialistisch regierten und verarmten Venezuela –- habe es keine Arbeit für sie gegeben, beklagen sie. Alle drei sind Singles und wollen in Städte wie Dallas, Chicago oder Boston, die sie nur aus dem Fernsehen kennen. Doch seit sie in El Paso im historischen Distrikt ankamen, gehören sie zu den Vergessenen. „Wir sind hier gefangen“, sagt Gabriel. Die Gefahren durch die Grenzpolizei sind gestiegen, da die Beamten versuchten, in den Tagen vor dem Biden-Besuch bei Razzien so viele Migranten wie möglich aufzugreifen und aus der Sicht der TV-Kameras zu bekommen.

Von Biden hören die Migranten im Herzen El Pasos am Sonntag nichts. Der Präsident, der vom republikanischen Gouverneur Greg Abbott kühl und mit schweren Vorwürfen begrüßt wird, geht zwar überraschend am Grenzzaun entlang. Für einen Stopp an der Kirche oder einem anderen Sammelzentrum für Flüchtlinge ist dann aber doch keine Zeit. FRIEDEMANN DIEDERICHS

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