Bayern wollen über Asylpolitik reden

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

München – Als die CSU neulich in Seeon tagte, bespielte sie ein buntes Feld an Themen. Kinderarzneien, Länderfinanzen, Leopard-Panzer, keines davon war unwichtig. Erst nach der Rückreise fiel einigen Abgeordneten auf: Ein Thema haben wir kaum angesprochen – Migration. Hätte die CSU früher da nicht eine Salve an Forderungen, Kritik und Obergrenzen gezündet? In Wochen, wo die Aufnahmezentren überfüllt und Turnhallen belegt sind? „Stiefmütterlich behandelt“ sei diese Frage, schrieben Zeitungen, „die Achillesferse der Union“, titelte sogar die „Rheinische Post“.

Kein Zufall, sondern Unsicherheit: Wie umzugehen ist mit den stark steigenden Zahlen von Migranten, ist in mehreren Parteien umstritten. Die Union will nicht an ihre harte Rhetorik von 2015/2018 anknüpfen. Ja nicht den giftigen Streit um Obergrenzen aufflammen lassen. Ja nicht dran erinnern, dass sich mehrere Merkel-nahe Unions-Abgeordnete neulich weigerten, gegen das Chancen-Zuwanderungsrecht der Ampel zu stimmen. Auch CSU-Chef Markus Söder will derzeit als wertkonservativ, aber keinesfalls als Scharfmacher in der Asylpolitik gesehen werden. Seine Landtagsfraktion, nächste Woche in Banz in Klausur, blendet das Thema Zuwanderung ebenfalls aus – kein Wort dazu in den drei Resolutionsentwürfen, die unserer Zeitung vorliegen.

Die Zweifel wachsen, ob das durchhaltbar ist. In der CSU schlagen vor allem Basispolitiker, etwa Landräte, Alarm. Jetzt legt eine neue Umfrage von gestern Abend nahe: Das Thema wird unterschätzt. Im BR-Bayerntrend, der zentralen Infratest-Umfrage der Landespolitik, verschieben sich die Gewichte auffällig.

Auf die Frage nach den wichtigsten Problemen in Bayern springen Zuwanderung und Flucht auf Platz 2, hinter Energiepolitik, weit vor Klima, Schule, Inflation, Gesundheit, Wohnen. Die Zahl der Bürger, die der CSU die höchste Kompetenz in der Asyl- und Flüchtlingspolitik zumessen, ist gesunken. Es gibt einen klaren Profiteur: Die AfD hat auf dem Politikfeld SPD und Grüne ein- oder überholt. Im Bereich Kriminalität/Sicherheit ist es ähnlich. Und in der Sonntagsfrage, die auf den ersten Blick seit Monaten stabile Zahlen zeigt, wächst die AfD auf 13 Prozent – ihr höchster je im Bayerntrend gemessener Wert.

Der AfD komme es „gelegen, dass das Thema Zuwanderung wieder weit oben auf der Problemagenda der Menschen“ stehe, analysiert der BR-Wahlexperte Andreas Bachmann. „Damit bewegt sich die AfD langsam aber sicher aus der Nische einer reinen Protestpartei.“ Mit Blick auf die ganze, durchgewirbelte Polit-Agenda rät er: „Die Parteien werden sich auf ihren Winterklausuren noch einmal den ein oder anderen Gedanken machen müssen, welches Thema sie wirklich in den Mittelpunkt des Wahlkampfes stellen werden.“

Den Aufstieg der AfD messen Demoskopen in fast allen Ländern, nicht nur im Osten. In Hessen, das wie Bayern im Oktober wählt, sind es schon 12 Prozent, bundesweit 13 bis 15. Das, obwohl der befürchtete Frust („Wut-Winter“) über explodierende Energiepreise ausblieb, der Staat die Gas-Kosten deckelte und die Groß- und Endkundenpreise gerade sinken. Und obwohl – ein unerwartetes Resultat – der Corona-Groll abgeklungen ist. 70 Prozent der Bayern finden, der Freistaat sei sehr gut (12) oder gut durch die Pandemie gekommen.

Jenseits der AfD bestätigt die Umfrage: Die Staatsregierung sitzt fest im Sattel. 51 Prozent sind mit ihr zufrieden. In den meisten anderen Ländern liegt dieser Wert in den 40ern, gegenüber der Bundesregierung sogar deutschlandweit nur bei 34. Ministerpräsident Söder (56 Prozent zufrieden) und sein Vize Hubert Aiwanger (Freie Wähler, 45 Prozent) haben ihre Werte noch mal ausgebaut. Die Fraktionschefs aller anderen Parteien kommen nur auf Bruchteile: Katharina Schulze (23) und Ludwig Hartmann (19) von den Grünen liegen vor Florian von Brunn (SDP, 12) und Martin Hagen (FDP, 12 zufrieden). Die Hälfte bis zwei Drittel der Befragten können mit diesen Namen nichts anfangen.

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