München – Er ist SPD-Chef, profilierter Verteidigungspolitiker und der Sohn eines Unteroffiziers – klar, dass Lars Klingbeil ins Gespräch gebracht wurde, als es darum ging, wer aus seiner Partei das Verteidigungsministerium übernimmt. Am Ende fiel die Wahl auf Boris Pistorius.
Herr Klingbeil, es heißt, Sie hätten abgelehnt, als es um die Nachfolge von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ging. Hatten Sie Bammel vor dem Schleudersitz-Ministerium?
Es ging uns bei der Entscheidung über die Nachfolge um eine Frage: Was ist das Beste für die Zukunft unserer Bundeswehr? Es braucht in dieser historischen Situation einen Minister, der sich zu 100 Prozent der riesigen Aufgabe stellt, die Bundeswehr in der Zeitenwende neu aufzustellen. Boris Pistorius wird genau das jetzt tun. Und ich werde ihn dabei als Parteivorsitzender der SPD voll unterstützen. Ich habe mich erst vor etwas mehr als einem Jahr bewusst für dieses Amt entschieden und habe da noch viel vor.
Was muss Pistorius anders machen als seine Vorgängerin?
Christine Lambrecht hat gute Dinge bereits angestoßen, die Boris Pistorius jetzt weiterführt. Mit ihm kommt ein über Parteigrenzen hinweg hoch angesehener Innenminister aus Niedersachsen in das Amt, der die Sicherheitsstruktur unseres Landes sehr gut kennt. Er hat in über zehn Jahren gezeigt, dass er krisenerprobt ist. Er bringt der Truppe die Wertschätzung entgegen, die sie braucht, und er hat die Durchsetzungskraft, um notwendige Reformen anzustoßen.
Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) hat zuletzt eine Verdreifachung des Bundeswehr-Sondervermögens auf 300 Milliarden Euro gefordert. Hat es Ihnen da nicht die Sprache verschlagen?
Die Sprache verschlägt es mir selten. Wir haben mit dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro gerade einen riesigen Schritt gemacht. Gleichzeitig geht es bei den Problemen der Bundeswehr nicht nur um fehlendes Geld, sondern auch um ineffiziente Strukturen. In der Rüstungsindustrie gibt es viel zu viele sogenannte Goldrand-Lösungen – das heißt: hohe Kosten und spezielle Produktionswege. Das System muss sich ändern. Bevor wir nach noch mehr Geld rufen, müssen wir effizienter werden.
Am Freitag treffen sich die Ukraine-Unterstützer in Ramstein, es wird vor allem um Kampfpanzer gehen. Fällt Ihnen noch ein Argument ein, warum Deutschland nicht liefern sollte?
Wir sollten vor allem bei der Linie von Bundeskanzler Olaf Scholz bleiben, darüber nicht öffentlich zu spekulieren. Was ich sagen kann: Wir haben seit dem russischen Angriff am 24. Februar eine Menge getan, um die Ukraine zu unterstützen. Wir haben mit dem Prinzip gebrochen, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern. Wir haben Raketenwerfer geliefert, Gepard-Flak-Panzer, das Abwehrsystem Iris-T – und nun folgen Marder-Schützenpanzer. Das ist immer auch ein Abwägungsprozess, über den man ein paar Tage nachdenken sollte. Klar ist für mich, wir müssen jeden Tag ernsthaft mit unseren Partnern prüfen, wie wir die Ukraine weiter unterstützen können. Wenn ich mit den Menschen im Land spreche, höre ich seltener die Frage, wann denn endlich der nächste Panzer geliefert wird – öfter hingegen die Sorge, ob wir aktiv in den Krieg hineingezogen werden.
Mit seiner vorsichtigen Waffen-Linie trifft der Kanzler den Nerv vieler Deutscher, aber zugleich nervt er Deutschlands Partner im Ausland. Wie passt das mit dem Anspruch zusammen, eine Führungsrolle in Europa einzunehmen?
Dass sich alle Blicke in diesen Fragen immer auch auf Deutschland richten, zeigt unsere Bedeutung. Ich wehre mich allerdings dagegen, unsere Führungsrolle an einzelnen Waffensystemen festzumachen. Dass der Europäische Rat dem Kanzler in seiner Absichtserklärung folgt, die Ukraine in die EU aufzunehmen, ist Führung. Dass Olaf Scholz nach Peking fliegt und China in der Frage der nuklearen Bedrohung auf unsere Seite zieht, ist Führung. Kluge Führung, die andere mitnimmt, überzeugt.
Sehen Sie denn derzeit irgendeinen Ansatzpunkt für Diplomatie mit Moskau?
Es gab doch bereits diplomatische Ergebnisse. Wir haben ein Getreideabkommen, es gab Gefangenenaustausche. Und wenn ein Krieg enden soll, muss man auch miteinander reden. Das bedeutet nicht, zu akzeptieren, was Putin tut. Ich sage klar: Unser Ziel muss sein, dass Russland wieder aus den Gebieten der Ukraine verschwindet. Um das zu erreichen, braucht es militärische Stärke gegenüber Russland und im richtigen Moment auch Diplomatie. Die Ukraine kann sich dabei auf uns verlassen, unsere Unterstützung geht uneingeschränkt weiter.
Die SPD hatte lange ein Haltungsproblem zu Russland. Sie haben angekündigt das aufzuarbeiten. Wie geht’s voran?
Wir sind mittendrin. Ich habe sehr deutlich gemacht, wo ich die Fehler der Vergangenheit im Umgang mit Russland sehe. Das hat auch nicht jedem in der SPD gefallen. Wir haben zu lange daran geglaubt, dass das mit Putin schon gut gehen wird, und wir haben uns in der Energieversorgung abhängig gemacht. Die SPD arbeitet das auf – das würde anderen Parteien auch ganz gut tun.
Altkanzlerin Angela Merkel ist nicht der Meinung, sie hätte etwas falsch gemacht.
Das müssen Frau Merkel und die Union für sich beantworten. Die Öffentlichkeit wird darüber urteilen. Ich kann nur für die SPD sprechen.
Zusammenfassung: S. Horsch