Berlin/Ramstein – Feuerprobe unter erschwerten Einsatzbedingungen für den neuen Verteidigungsminister. Die 50 Journalisten aus aller Welt, denen er vor der Offiziersmesse Lincoln Boulevard auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein Rede und Antwort stehen muss, sind deutlich besser ausgerüstet als er. „Sie stehen in Jacke da, ich nicht. Mein Mantel ist irgendwie abhanden gekommen“, sagt er bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. Das Jackett muss reichen.
Es ist die erste Pressekonferenz für Pistorius nach seiner Vereidigung im Bundestag vor nur 29 Stunden. Nicht nur die deutschen Medien interessieren sich für den Neuen im Kreis der westlichen Verbündeten, sondern auch die aus den USA, Polen, Skandinavien. Und alle wollen nur eines wissen: Was ist nun mit den Leopard-2-Panzern?
Das Problem für Pistorius: Er hat keine richtig gute Antwort. Deswegen zählt er erstmal auf, welche Waffenlieferungen Deutschland sonst so in der Pipeline hat: Patriot-Raketensysteme, Gepard-Flakpanzer, Iris-T-Flugabwehr. Dann: Es werde geprüft, ob es in Deutschland überhaupt lieferbare Leopard-2-Panzer gibt und wie viele. Er habe am Freitagmorgen Mitarbeitern den Auftrag erteilt, die Bestände der Bundeswehr und der Industrie zu überprüfen. Damit wolle man nun „vor die Lage“ kommen, für den Fall, dass die politische Entscheidung für eine Lieferung getroffen wird, sagt Pistorius. Wann? „So bald wie möglich.“
Der Verteidigungsminister beantwortet tapfer die Fragen der verwunderten Journalisten, obwohl er nicht für das verantwortlich ist, was er da erklären muss. Hätte man nicht vorher drauf kommen können, den Bestand zu prüfen? „Ich bin 24 Stunden im Amt, viel schneller kann man solche Entscheidungen, glaube ich, nicht treffen.“
Pistorius hat das Panzer-Problem geerbt – von Vorgängerin Christine Lambrecht und vor allem von seinem Chef Olaf Scholz (beide SPD). Der Kanzler rang sich noch nicht zu einer Entscheidung durch. Und offenbar hat er sich – wie schon bei den Marder-Schützenpanzern – auch nicht darauf vorbereitet, dass eine Entscheidung fällig werden könnte. Und das, obwohl er mit der Frage schon vor fast einem Jahr das erste Mal konfrontiert wurde.
An Tag 8 des russischen Angriffskriegs, dem 3. März 2022, schickte die ukrainische Botschaft eine sogenannte Verbalnote an das Kanzleramt, das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium, die eine Wunschliste mit fast 30 Waffensystemen enthielt. An erster Stelle: Kampfpanzer. Die Bundesregierung hatte zu diesem Zeitpunkt Panzerfäuste, Stinger-Raketen und gepanzerte Fahrzeuge zugesagt. An die Lieferung von schweren Waffen dachte damals aber noch niemand. Das änderte sich in den folgenden Monaten zwar radikal. Erst wurden Gepard-Flakpanzer zugesagt, dann die Panzerhaubitze 2000, Mehrfachraketenwerfer und Flugabwehrgeschütze. Aber ein Waffensystem fehlt bis heute: der Leopard 2, einer der schlagkräftigsten Kampfpanzer der Welt.
In den vergangenen Wochen stieg der Druck auf Scholz massiv. Vor dem Treffen in Ramstein flehte ihn der ukrainische Präsident Selenskyj geradezu an, die Panzer zu liefern. „Ihr seid doch erwachsene Leute. Sie können gerne noch sechs Monate lang so reden, aber bei uns sterben Menschen – jeden Tag“, sagte er in der ARD. „Im Klartext: Kannst du Leoparden liefern oder nicht? Dann gib’ sie her!“
Das Argument „keine Alleingänge“ zieht im Fall der Kampfpanzer jedenfalls nicht mehr. Großbritannien hat bereits die Lieferung solcher Panzer vom Typ Challenger 2 angekündigt. Polen und Finnland wollen Leopard-2-Panzer in die Ukraine schicken. Auch andere europäische Länder wie Schweden oder Spanien sympathisieren damit. US-Präsident Joe Biden ist aber noch bei US-Panzermodellen zögerlich.