Wiesbaden – Sie lacht die Frage weg. Immer wieder. Wann immer Nancy Faeser in den letzten Wochen nach der SPD-Spitzenkandidatur in Hessen gefragt wurde, reagierte sie auf die erste Frage ausweichend, auf die zweite bis fünfte Nachfrage dann mit echter oder gespielter Heiterkeit. Am Wochenende wieder, diesmal scheiterte die „Frankfurter Allgemeine“ im Interview an ihr: „Wir sprechen uns bald wieder, okay?“, ist Faesers letzte Antwort, begleitet von Gelächter.
Dabei ist der Hintergrund ernst. Die 52-Jährige steht vor der schwierigen Entscheidung. Weder kann sie guten Gewissens die SPD in ihrer Heimat Hessen bei der Wahl (zeitgleich mit Bayern am 8. Oktober) im Stich lassen als prominenteste Hessin in der Bundesregierung. Noch kann sie in diesen Zeiten guten Gewissens der Bundesregierung den Rücken kehren, wo viele sagen, sie habe endlich in ihr Amt als Sicherheitsministerin gefunden und sei eine Stütze für Kanzler Scholz.
Immerhin dazu lässt sie einen Hinweis via FAZ fallen. Sie sei „mit großer Kraft und Leidenschaft Bundesinnenministerin – daran wird sich so schnell nichts ändern“, sagt sie. Also: kein schneller Rücktritt. Wie lang sie gleichzeitig Ministerin in Berlin und Wahlkämpferin in Hessen sein könnte, wird kontrovers diskutiert. Hochrangige Genossen raten ihr: ganz oder gar nicht. Also volle Konzentration auf Hessen, und dann ohne Rückfahrticket, oder eben auf Berlin. Negatives Vorbild ist hier der CDU-Minister Norbert Röttgen aus dem Jahr 2012, der sich damals um eine klare Entscheidung zwischen NRW und der Bundespolitik drückte und am Ende alles verlor – Landtagswahl und Berliner Amt.
Die Entscheidung naht. Am 3. Februar beim Hessengipfel der SPD soll das Geheimnis gelüftet werden. Faeser habe das Zugriffsrecht auf die Spitzenkandidatur und sei klar SPD-Wunschkandidatin, berichtet die „Offenbach-Post“. Die Zeitung nennt als Alternative aber den Offenbacher SPD-Bürgermeister Felix Schwenke (43), der das bisher zumindest nicht ausschließt.
Faeser dürfte Für und Wider genau abwägen. Die Ausgangslage ist schwierig, in Umfragen liegt die CDU Hessen mit dem neuen Ministerpräsidenten Boris Rhein klar vorne, zuletzt mit rund 28 Prozent der Stimmen. Die SPD folgt dahinter, Umfragen sehen eine große Schwankungsbreite zwischen 20 und 25 Prozent. Knapp dahinter die Grünen mit dem bekannten Landeswirtschaftsminister und Rhein-Koalitionspartner Tarek Al-Wazir. Kann Faeser da noch den Sieg holen oder eine Koalition gegen die CDU schmieden? Der bislang letzte SPD-Ministerpräsident in Hessen war Hans Eichel, und das war knapp im letzten Jahrtausend.
Verlässt Faeser das Bundeskabinett, reißt sie eine Lücke und verschärft das Paritäts-Problem. Die ausgebildete Juristin hat in gut einem Jahr als Bundesministerin enorm an Bekanntheit und Profil gewonnen – Reichsbürger-Razzia, One-Love-Debatte, Klartext zu Silvester. In Hessen auf der Oppositionsbank zu landen ist ein Risiko, das sich nicht weglachen lässt.
C. DEUTSCHLÄNDER/B. GLEBE