München/Traunstein – „Jetzt kann ich voll motiviert in den nächsten Tagen an meine Arbeit gehen.“ Richard Kick, Sprecher des Betroffenenbeirats im Erzbistum München und Freising und selbst Missbrauchsopfer, ist unglaublich erleichtert. Er hat gerade erfahren, dass sich das Erzbistum München und Freising in dem Zivilverfahren um Schadensersatzansprüche des Missbrauchsopfers Andreas P. nicht auf Verjährung berufen wird. Die Diözese stellt sich dem Verfahren.
Wie berichtet, will P. in einem Zivilverfahren vor dem Landgericht Traunstein prüfen lassen, ob kirchliche Vorgesetzte für den Schaden haften, den er als Kind wegen eines Missbrauchs durch einen Priester in Garching an der Alz (Kreis Altötting) erlitten habe. Bei dem beschuldigten Priester handelt es sich um Peter H., der trotz seiner Vorgeschichte als verurteilter Missbrauchstäter im Erzbistum als Seelsorger eingesetzt wurde. P. will klären lassen, ob die früheren Erzbischöfe Friedrich Wetter und Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., durch ihr Handeln oder Unterlassen zum Schadensersatz verpflichtet sind.
Der inzwischen verstorbene Benedikt hatte in einer Stellungnahme zum zweiten Münchner Missbrauchsgutachten erklärt, er habe 1980 nichts von der Vorgeschichte des Missbrauchstäters Peter H. gewusst. In dem Gutachten wurden dazu erhebliche Zweifel geäußert. Wie das Erzbistum erhebt auch Kardinal Friedrich Wetter die sogenannte „Einrede der Verjährung“ nicht. Der beklagte Priester H. beruft sich ebenfalls nicht auf Verjährung.
Vom Rechtsnachfolger des verstorbenen emeritierten Papstes liegt nach Mitteilung von Andrea Titz, Vizepräsidentin des Landgerichts Traunstein, „noch keine Klageerwiderung vor“. Da dieser Teil des Verfahrens aber ruht, weil noch kein Rechtsnachfolger benannt wurde, laufen auch keine Fristen ab. Die Frist zur Klageerwiderung war um Mitternacht abgelaufen. Jetzt wird es zur mündlichen Verhandlung vor der 5. Zivilkammer des Landgericht Traunstein kommen. Laut Titz wird das voraussichtlich am 28. März sein.
„Die Erzdiözese ist bereit, zur Anerkennung des Leids des Klägers ein angemessenes Schmerzensgeld zu leisten und für darüber hinaus gehende Schadensersatzbegehren eine angemessene Lösung zu finden“, teilt das Erzbistum mit, das das „widerfahrene Leid“ des Klägers und anderer Missbrauchsbetroffener „zutiefst bedauert“.
Für Richard Kick ist die Entscheidung des Erzbistums „ein großes Zeichen“, das die Kirche setzt, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Vor allem, dass die Kirche inzwischen Begriffe nutzt, die sie vorher mied, stimmt ihn positiv. „Schmerzensgeld und Schadensersatz, diesen Terminus hat man ja bislang nie benutzt.“ Das ist für ihn eine kleine Sensation. „Viele Betroffene können nun endlich hoffen, dass sie über ein Gerichtsverfahren zumindest eine Teil finanzieller Entschädigungsleistungen erhalten.“ Zahlreiche Opfer seien in großen finanziellen Nöten.
Bei der mündlichen Verhandlung am 28. März wird es nicht um etwaige Summen gehen. Es wird allein entschieden, ob die Klage berechtigt ist. Danach würde in einem anderen Verfahren über mögliches Verschulden verhandelt. Dabei müsste der Kläger öffentlich den erlittenen Missbrauch schildern. In der Regel raten Anwälte ihren Mandanten, auf solche Befragungen zu verzichten und zu anderen Lösungen zu kommen. In Köln läuft derzeit eine ähnliche Schmerzensgeldklage. (mit lby/kna)