München – Nach rauschendem Fest scheint der selbst ernannten Alternative nicht so recht zu sein. Bescheidene 250 Gäste sollen am Montag ins hessische Königstein kommen, das angemietete „Haus der Begegnung“ ist damit nicht mal ansatzweise gefüllt. Die Rednerliste ist auffällig konventionell: Alice Weidel, Tino Chrupalla und Alexander Gauland sollen sprechen. Alles in allem wird es eine „kleine Jubiläumsfeier“ (Weidel), auf der Homepage findet sich nicht mal ein Hinweis. Gerade so, als wolle man nicht unnötig an den Anlass erinnern.
In der Zurückhaltung liegt eine gewisse Logik. Heute vor zehn Jahren wurde die AfD im benachbarten Oberursel gegründet. Der Zirkel um den Ökonomen Bernd Lucke fand, dass die Euro-Rettungspolitik gar nicht so alternativlos sei, wie Kanzlerin Merkel behauptete. Aber mit dem liberal-konservativen Grundgedanken hat die heutige AfD nichts mehr zu tun. Das Gründungsmitglied Markus Keller sagte im ZDF: „Unsere Idee, die wir hatten, ist vollkommen den Bach runtergegangen.“
Die Entwicklung der Partei ist gut ausgeleuchtet. Erst Lucke, dann Frauke Petry, dann Jörg Meuthen: Auf ihrem Weg nach rechtsaußen sortierte die AfD sie alle aus. Heute steht das Duo Weidel/Chrupalla an der Spitze, und es ist ein offenes Geheimnis, dass Thüringens rechtsextremer Landeschef Björn Höcke nur auf seine Chance wartet. Der Verfassungsschutz beobachtet die Partei, es gibt Verbindungen ins Querdenker- und Reichsbürger-Lager, der eher gemäßigte Partei-Flügel ist kaltgestellt. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang sagte kürzlich: „Kräfte, die versuchen, die extremistischen Tendenzen aus der Partei zu verdrängen, nehmen wir kaum noch wahr.“
Dem Erfolg ist das nicht abträglich. Umfragen sehen die Partei bei rund 15 Prozent, in manchen Ost-Ländern ist sie doppelt so stark. Die AfD stehe „so gut da wie lange nicht“, sagt der Kasseler Politologe Wolfgang Schroeder. Sie sei einfach in der Lage, den Krisen-Unmut vieler Menschen für sich zu nutzen.
Das lässt die Erwartungen steigen. Parteichefin Weidel, lange auf Kurs Frontalopposition, sprach zuletzt mehrfach von dem Ziel mitzuregieren und hat dabei vor allem den Osten im Sinn. 2024 wird in Sachsen, Brandenburg und Thüringen gewählt, Umfragen sagen der AfD starke Ergebnisse voraus. In Sachsen liegt sie etwa bei 28 Prozent und hofft, erstmals stärkste Kraft bei einer Landtagswahl zu werden. 2019 konnte das ein bis zur Erschöpfung wahlkämpfender Michael Kretschmer (CDU) noch verhindern. Und beim nächsten Mal?
Weidel hält eine Regierungsbeteiligung für „absolut realistisch“. Politologe Schröder hält dagegen, sein Dresdner Kollege Hans Vorländer ebenfalls. „Dazu bräuchte die AfD einen Partner und den sehe ich nicht. In Frage käme ja nur die CDU, die sich sehr deutlich gegen jede Kooperation ausgesprochen hat.“ Tatsächlich ist die Zusammenarbeit qua Parteitagsbeschluss verboten, und CDU-Chef Friedrich Merz spricht immer wieder von einer Brandmauer zur AfD. Vorländer sagt aber auch: „Es ist eine löchrige Brandmauer.“
Auf lokaler Ebene nimmt es die Ost-CDU mit der Trennung nach ganz rechts nicht so genau. Im Kreistag von Bautzen etwa stimmt die CDU im Dezember einem AfD-Antrag zur Flüchtlingspolitik mehrheitlich zu. Im Thüringer Landtag verbündeten sich CDU, AfD und FDP zuletzt zweimal gegen die Minderheitsregierung von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). Trotz Höcke. Trotz der Krise, die die Wahl Kemmerichs zum Ministerpräsidenten 2020 auslöste; damals auch mit Stimmen von AfD, FDP und CDU.
Die Rechtspopulisten bauen auf die kleinen Risse, darauf, dass sie die Mauer zum Einsturz bringen. Sie bauen auf jene schleichende Normalisierung, die sich in Umfragen zeigt. Im Deutschlandtrend sagen 32 Prozent, es sei richtig, dass die AfD im Bundestag sitzt, im Osten sind es sogar 44 Prozent. 36 Prozent meinen, die anderen Parteien sollten eine Zusammenarbeit nicht ausschließen – 58 Prozent sind dagegen.
Trotz allem sehen Beobachter die AfD in naher Zukunft nicht dort, wo Weidel sie gern hätte. Auch deshalb, weil die Partei jede denkbare Verbindung ins konservative Lager gekappt hat, zuletzt Jörg Meuthen. „Es gibt in der Partei keinen Brückenkopf mehr, auch inhaltlich ist da kein Anknüpfungspunkt“, sagt Vorländer. Die AfD überschreite zudem in Teilen „klar die Grenze zur Verfassungsfeindlichkeit“.
Zehn Jahre nach ihrer Gründung mag die AfD weiterhin von den Krisen im Land profitieren, sie bleibt aber isoliert. Das ZDF fragte kürzlich bei Norbert Stenzel nach, einem der Partei-Gründer. „Das Baby AfD, das wir damals gegründet haben, ist leider missraten“, sagt er heute. Weil sie eben nicht zur konservativen Alternative wurde. Sondern zur „Nachfolgepartei von NPD und Republikanern“.