Berlin/München – Es wird von Zeile zu Zeile härter, und Friedrich Merz’ Gesichtszüge im Publikum frieren ein. Vor ihm am Pult steht die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, sie hält eine knüppelharte Büttenrede im Aachener Karneval. „Nach außen bürgerlicher Schein / im Herzen aber voll gemein“, dichtet sie. „Ein alter weißer Mann / der glaubt, dass er es besser kann.“ Sie unterstellt Merz latent Fremdenfeindlichkeit und sagt in Anspielung auf die Reichsbürger: „Doch treibt’s ein alter Nazi-Prinz zu wild / dann wird der Flugzwerg plötzlich mild.“
Ob das noch lustig ist oder zu grob, darüber wird seither gestritten. Auf jeden Fall ist es ein Tiefpunkt im Verhältnis der Parteien, die sich früher als natürliche Koalitionspartner ansahen. Union und FDP haben sich entfremdet.
Das hat strategische Gründe. Seit die FDP in die Ampel-Regierung eingetreten ist, wird sie von der Union voll als Gegner wahrgenommen. Ein bisschen Frust ist dabei, rechnerisch wäre ja auch eine Jamaika-Koalition denkbar gewesen, 2021 und heute auch noch. Aber es ist auch bewusste Attacke, denn in der Union begann am ersten Ampel-Tag die Sorge, die FDP könne sich bei bürgerlichen Wählern als „gutes“ Korrektiv im Bündnis mit SPD und Grünen anbiedern. Tatsächlich gibt es ja inhaltlich Nähe bei Atomkraft, Corona-Kurswechsel oder Migration. Der Berliner CSU-Statthalter Alexander Dobrindt ersann deshalb früh die abwertende Formel „Linksgelb“ für die gesamte Ampel.
In der Politik ist es oft so, dass vor den Kameras wild gestritten wird, hinter den Kulissen die größten Kontrahenten aber Minuten nach der Talkshow ein Bier miteinander trinken. In Union wie FDP ist zu hören, dieser Draht sei dünn geworden. Es gab Attacken auf beiden Seiten. Auch FDP-Chef Christian Lindner knöpfte sich Merz persönlich vor. „Wer pauschal über Sozialtourismus und ‚kleine Paschas‘ spricht, kann keinen Führungsanspruch für das moderne Deutschland begründen“, sagte Lindner in einer Rede vor Parteifreunden.
Die persönlichen Angriffe auf den CDU-Vorsitzenden haben eine andere Qualität als das übliche politische Gerempel. Es ist spürbar: Union und FDP verbindet nur noch wenig. Auch in den Ländern. Nur noch in Sachsen-Anhalt sitzen CDU und FDP in einer Regierung; in Schleswig-Holstein und vor allem in NRW flogen die Liberalen raus. Zur Erinnerung: 2009 hatte Schwarz-Gelb mal die absolute Mehrheit im Bundesrat. Das schweißte zusammen.
Bei zwei großen Landtagswahlen heuer sehen sich Union und FDP zudem als Hauptgegner. In Berlin (Wahl am Sonntag) kann die Union rechnerisch wohl nur eine Regierung formen, falls die FDP aus dem Parlament fliegt. In Bayern (8. Oktober) ordnet CSU-Regent Markus Söder die regionale FDP spöttisch einer „Mini-Ampel“ zu und schließt sie als Koalitionspartner aus. Söder greift zwar Lindner nicht persönlich an, es gibt sogar ab und zu Kontakt per SMS, eng ist das aber nicht.
Ein Netzwerk immerhin besteht noch in Berlin: FDP-Mann Otto Fricke rief vor einem Jahrzehnt die „Kartoffelküche“ ins Leben, ein informelles Treffen von Schwarzen und Gelben ungefähr einmal im Quartal. Zuletzt saßen die Abgeordneten im Januar zusammen. Keimzelle für eine Wiederannäherung?
Vorher ist noch die „Flugzwerg“-Sache auszuräumen. Die CDU fordert von Strack-Zimmermann eine öffentliche Entschuldigung. Merz soll ernsthaft sauer sein. Die FDP-Politikerin weist das spöttisch zurück und legt der CDU ein „besseres humoristisches Verständnis“ nahe. Fortsetzung folgt: Heute Abend treffen sich Merz und Lindner in der ZDF-Talksendung „Illner“.
CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER