Gesiegt, aber nicht am Ziel

von Redaktion

VON MARC BEYER

München/Berlin – Es ist kein weiter Weg, den Kai Wegner bis zur Bühne zurücklegen muss, aber er zieht sich. Die Menschenmenge, die der Spitzenkandidat der Berliner CDU am frühen Abend durchquert, macht nur zögerlich Platz. Sie tätscheln, johlen, klopfen auf die Schulter, und als Wegner endlich am anderen Ende des Saales ankommt, wirkt er zwar erfreut, aber auch ziemlich erschöpft. Es hat schon gelöstere Wahlsieger gegeben.

Am Sieg der Berliner CDU bei der Wiederholungswahl des Abgeordnetenhauses gibt es schon zu diesem frühen Zeitpunkt keinen Zweifel mehr. Wegner und seine Partei liegen bei 27, 28 Prozent, sie haben rund zehn Punkte zugelegt – vor allem aber ist der Vorsprung auf SPD und Grüne, die unter 20 Prozent liegen, überaus komfortabel. Diese Zahlen allein werden den CDU-Kandidaten allerdings nicht ins Rote Rathaus führen. Dafür braucht er Koalitionspartner, von denen einer bereits früh aus dem Rennen ist. Die FDP strauchelt an der Fünf-Prozent-Hürde.

Die anderen Kandidaten, SPD und Grüne, haben zuletzt wenig Interesse gezeigt, die bisherige Koalition mit der Linken zugunsten der Rolle eines Juniorpartners unter CDU-Führung aufzugeben. Wegners Fazit, Berlin habe „den Wechsel gewählt“, klingt deshalb sehr optimistisch. Noch forscher formuliert es Generalsekretär Mario Czaja, der eine Neuauflage von Rot-Grün-Rot für völlig undenkbar hält: „Jeder Anstand verbietet es, dass die Koalition wieder Verantwortung übernimmt.“

Das mutet selbstbewusst an, aber auch ein bisschen wie das Pfeifen im Walde. Franziska Giffey jedenfalls, die Regierende Bürgermeisterin, weicht wortreich aus, als sie auf das Ergebnis, das schlechteste ihrer Partei in der Hauptstadt, und die offensichtliche Unzufriedenheit der Bürger angesprochen wird. Sie wirkt angefasst und verweist auf die vielen Krisen, die in kürzester Zeit zu bewältigen gewesen seien. Zwar sei „mehr als offensichtlich“, dass sich etwas ändern müsse. Bei der Frage aber, mit welchem Personal diese Veränderungen geschehen sollen, bleibt sie wolkig. Das stärkste Ergebnis zu erzielen, „ist das eine“, aber man müsse immer „stabile Mehrheiten“ zusammenbringen. Rechnerisch hätte Rot-Grün-Rot tatsächlich wohl mehr Sitze im Abgeordnetenhaus als CDU plus X.

Eine gemeinsame Basis zu finden, auf der es sich mit den Konservativen regieren ließe, dürfte nach den Eindrücken der vergangenen Monate schwierig werden. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert erinnert, der CDU-Wahlkampf sei „keiner der ausgestreckten Hand gewesen“. Schon als Wegner nach den Ausschreitungen in der Silvester-Nacht demonstrativ die Vornamen der Festgenommenen erfragen wollte, schlug ihm aus der Koalition kalte Ablehnung entgegen.

Das Thema Sicherheit, den Berlinern im Wahlkampf besonders wichtig, ist nicht das einzige, das CDU von SPD und Grünen trennt. Noch verworrener sind die Verhältnisse bei der Verkehrspolitik. Nicht nur Wegner attackierte Bettina Jarasch, die zuständige Senatorin und Spitzenkandidatin der Grünen, die Tempo 30 bewarb und zentrale Straßen zu Fußgängerzonen machte. Auch Giffey war mit der Koalitionspartnerin in wichtigen Fragen über Kreuz. Zuletzt zeigte sich das bei einer Podiumsdiskussion der Spitzenkandidaten, als zeitweise wenig darauf hindeutete, dass beide überhaupt der selben Regierung angehören.

Dennoch betont Jarasch in Anwesenheit Wegners nun ihre „klare Präferenz“, das bisherige Bündnis fortzusetzen. Später am Abend sagt sie dann noch: „Ich möchte diese Koalition anführen.“ Beide Parteien, SPD und Grüne, liegen da nahezu gleichauf. Zu klären wäre allerdings noch, zu welchem Partner Giffey tendieren würde, wenn die SPD am Ende nur dritte Kraft wäre. Jarasch ist sich sicher: „Ganz offensichtlich haben wir spannende Tage vor uns.“

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