Kamala Harris und der Vize-Frust

von Redaktion

VON LEONIE HUDELMAIER

Washington/München – Es ist eine wackelige Aufnahme aus einem fahrenden Auto. Zu sehen sind nur eine sporadisch befahrene Straße und ein blauer Himmel mit weißen wattigen Wolken. Dann ein Schnitt. Kamala Harris läuft zielstrebig über einen Flugplatz in Richtung Maschine, der Sonne entgegen. Über dem Kopf der US-Demokratin prangen große weiße Lettern: Momentum. Ein Wort, das sich im Deutschen mit „Aufschwung“ oder „an Fahrt gewinnen“, übersetzten lässt. Unterlegt mit dramatischer Musik erklärt die 58-Jährige Momentum zu ihrem Wort für das Jahr 2023.

Was wohl als Video für den Fortschritt der US-Regierung gedacht ist, wirkt gleichzeitig wie ein Werbevideo für die US-Vize-Präsidentin persönlich. Denn den beschworenen Aufschwung hat Harris selbst bitter nötig. In aktuellen Umfragen verliert die US-Demokratin massiv an Beliebtheit. Laut der neuesten Yougov-Umfrage sind nur noch gut 40 Prozent der Amerikaner von Harris überzeugt – 56 Prozent dagegen nicht.

Dabei fängt im November 2020 doch alles so gut für sie an. Joe Biden gewinnt die Wahl und macht damit Harris zur Vize-Präsidentin der USA. Die Tochter einer indischen Brustkrebsforscherin und eines aus Jamaika stammenden Wirtschaftswissenschaftlers ist die erste Frau und erste Schwarze auf diesem Posten. Das Video, wie Harris Biden damals zum Wahlsieg gratuliert, geht um die Welt. Sportlich gekleidet mit Sonnenbrille spricht sie euphorisch ins Telefon. „Wir haben es geschafft, Joe“, sagt sie strahlend. Ihre Beliebtheitswerte erreichen kurz nach Amtsantritt mit 51 Prozent Zustimmung ihren Zenit. Sie wird als Hoffnungsträgerin, scharfzüngige Kämpferin und ebenbürtige Nachfolgerin von Präsident Biden gefeiert.

Doch der anfängliche Glanz schleift sich ab. US-Medien berichten von schlechter Stimmung in Harris’ Team. Innerhalb von zwei Wochen kündigen Kommunikationsdirektorin und Sprecherin. Biden betraut sie mit ungeliebten Aufgaben wie der Wahlrechts-Reform und Migration. Besonders Letzteres ist „ein undankbares Thema, das nicht zu lösen ist – schon gar nicht als Vize-Präsidentin“, erklärt Johannes Thimm, Amerika-Experte von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Mittlerweile ist die illegale Einwanderung an der Südgrenze der USA zur Chef-Sache geworden und böse Zungen degradieren Harris als Quoten-Personalie für mehr Diversität bei den Demokraten herab.

Dabei bringt die Juristin einiges an Erfahrung mit. Im Senat war sie „eine sehr erfolgreiche, respektierte und effektive Senatorin des Bundesstaats Kalifornien“, erklärt Thimm. Mit dem nächsten Schritt tat sie sich aber sehr schwer. Ihr eigener Präsidentschaftswahlkampf 2019 – damals noch gegen Joe Biden – nahm nie wirklich an Fahrt auf. Sie gab auf und sprach sich im März 2020 öffentlich für Biden aus. Als Lohn: der Vize-Job. Doch ist es ihr auch als „Vizepräsidentin nicht gelungen, sich zu profilieren“, resümiert der USA-Forscher Thimm. Denn aus dem Schatten des Präsidenten herauszutreten, muss auch gekonnt sein. Zumal es die vorgeschriebene Hauptaufgabe eines Vizes ist, den Präsidenten zu vertreten –falls dieser stirbt, zurücktritt oder unfähig ist, sein Amt weiter auszuüben.

Die US-Demokraten stecken nun in einer Zwickmühle: Die Zweifel an Biden wachsen. Die neueste Reuters-Umfrage zeigt: 52 Prozent der Parteimitglieder sind dagegen, dass sich der 80-Jährige 2024 ein zweites Mal um das Amt des Präsidenten bewirbt. Harris aber liefert nicht.

Zumindest bei der anstehenden Münchner Sicherheitskonferenz wird Kamala Harris als oberster US-Gast aber die Nummer 1 sein. Sie will „die transatlantische Einheit und Entschlossenheit“ in der Unterstützung der Ukraine zeigen. Der Terminkalender ist voll: eine Rede, voraussichtlich ein Treffen mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) und dem britischen Premier Rishi Sunak sowie bilaterale Gespräche. Heute um 10.15 Uhr soll Harris am Münchner Flughafen landen. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wird sie empfangen. Dann wird auch diesmal das Rollfeld zum Schauplatz, auf dem Harris versucht zu strahlen.

Harris’ undankbare Aufgaben waren die Wahlrechts-Reform und Migration

Artikel 2 von 11