„Die Eliten in Russland verstehen diesen Krieg nicht“

von Redaktion

INTERVIEW Der Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow über die Sicherheitskonferenz, den Krieg und das System Putin

München – Leonid Wolkow ist Direktor der von Alexej Nawalny gegründeten Antikorruptionsstiftung FBK – damit ist der heute in Litauen lebende 42-Jährige für Wladimir Putin ein Staatsfeind. In seinem Buch „Putinland“ (Droemer-Knaur Verlag, 22 Euro) beschreibt Wolkow, wie sich der Westen von Putin blenden ließ. Ein Gespräch.

Herr Wolkow, war der Angriff Russlands auf die Ukraine absehbar?

Ich hatte den Angriff nicht erwartet, es war ein Schock für mich, der bis heute anhält. Daraufhin sah ich auch das harte Vorgehen gegen uns, die Vergiftung Alexej Nawalnys, in anderem Licht: Das passierte alles schon in Vorbereitung auf diesen Krieg.

War es richtig, zur Sicherheitskonferenz keine Vertreter der russischen Regierung einzuladen?

Eine Einladung von Kreml-Vertretern wäre total sinnlos! Noch immer glauben viele westliche Politiker, man könne mit Putin verhandeln. Das ist unglaublich naiv. Putin hat unzählige internationale Abkommen, die mit ihm geschlossen wurden, gebrochen. Solange Putin im Kreml sitzt, wird dieser Krieg nicht enden. Der einzige Ausweg aus diesem Krieg besteht darin, dass Putin gestürzt wird.

Und haben Sie Hoffnung, dass Putin gestürzt wird?

Ja, denn die Eliten in Russland verstehen nicht, wozu dieser Krieg gut sein soll. Sie haben Milliarden verloren, stehen auf Sanktionslisten – und sie bekommen von Putin keine Antwort darauf, wie der Ausweg aus dem nun seit einem Jahr feststeckenden Krieg aussehen soll. Ein Anzeichen dafür, wie sehr sich die Mächtigen von Putin abwenden, ist, dass wir inzwischen viele Informationen aus dem Kreml gesteckt bekommen. Früher hätte sich keiner von denen getraut, mit uns Kontakt aufzunehmen.

Kann der Chef der Gruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, ihm nachfolgen?

Putin hat das System seiner Alleinherrschaft so personalisiert, dass kein Prigoschin, kein Kadyrow oder sonst jemand mehr als zehn Prozent der Machtmöglichkeiten auf sich vereint. Nach Putin wird es dieses System nicht mehr geben! Nach Stalins Tod gab es fünf Jahre lang einen Machtkampf um seine Nachfolge, so ähnlich wird es wieder sein. Mit dem Unterschied, dass es heute keinen eisernen Vorhang mehr gibt und Russland Teil der globalisierten Welt ist. Und es gibt heute eine funktionierende Zivilgesellschaft.

Manche bezweifeln das und sagen, die Russen seien nicht reif für die Demokratie, sie brauchen einen „starken Führer“.

Das stimmt nicht, es gibt kein Volk, das nicht demokratiefähig ist. Es gibt viele Russen, die sehr unzufrieden sind. Wie beim arabischen Frühling gärt es unter der Oberfläche – das kann schnell explodieren.

Wie gut wirkt die russische Propaganda?

Diese Propaganda wirkt sehr perfekt, auch bei Ihnen in Deutschland. Dazu gehört die Idee, dass alle Russen Putin und seinen Krieg unterstützen. Das stimmt einfach nicht. Nach Putins Mobilmachung haben 1,2 Millionen Russen das Land verlassen. Putin hat keine Freiwilligen für seinen Krieg gefunden, deshalb musste er Häftlinge an die Front schicken.

Wie geht es Alexej Nawalny in der Haft?

Der einzige Kontakt läuft über die Rechtsanwälte und per Brief. Das geht langsam, die Briefe werden auch zensiert. Er sitzt in Einzelhaft in einer 2,5 mal 3 Meter großen Zelle. Nach Europäischem Recht ist das Folter. Sie versuchen, seinen Geist zu brechen. Das wird nicht gelingen. Aber wir machen uns Sorgen um seine Gesundheit.

Hat es Nawalny bereut, dass er freiwillig nach Russland zurückkehrte?

Er sah für sich keine andere Möglichkeit. Nicht nach Russland zu gehen, hätte bedeutet: Putin hat gewonnen.

Interview: Klaus Rimpel

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