Um 10.00 Uhr war der Termin angesetzt zur Zwangsversteigerung einer 110 Quadratmeter großen Wohnung in Münchner Bestlage. Auf dem Weg dorthin hatte ich noch humorvolle juristische Stilblüten im Kopf wie: „Der Geschädigte liegt dem Vorgang bei.“
Dass es aber hier wenig zum Lachen geben würde, zeigte schon die recht strenge Eingangskontrolle im Gerichtsgebäude. Ein Team von drei Personen ließ alle Taschen leeren und sogar den Gürtel abnehmen vor einer digitalen Schleuse. So weit also sind wir gekommen in diesem Land, dass man ein Gericht selbst bei einem so unspektakulären Termin nur nach gründlicher Durchsuchung betreten darf.
So fanden sich circa 20 voll durchgecheckte Personen im Gerichtssaal, als eine junge Richterin mit Protokollführerin und einem Beisitzer dort eintraten. Nur ein älterer anwesender Anwalt und ich als unbeteiligter Beobachter bei diesem Termin hielten es für notwendig, sich aus Respekt vor dem Gericht kurz zu erheben. Das sei nicht mehr üblich, hieß es dazu.
Die Richterin hatte Platz genommen mit der dicken, schon recht ausgefledderten Akte dieses Verfahrens. Ein Laptop oder Diktiergerät hatte sie nicht mitgebracht. So wurde Protokoll geführt, wie vor Jahrzehnten zu meiner Zeit als Rechtsreferendar, mit Stenogramm auf einem Blatt Papier. Die Digitalisierung also hat jedenfalls in diesen Bereich der bayrischen Justiz noch nicht Einzug gehalten. Vermutlich gibt es auf den Gerichtsfluren sogar noch Aktentransportwagen, die umständlich von Büro zu Büro geschoben werden.
Jederzeit hätte man die begehrte, nun zur Zwangsversteigerung kommende Wohnung über einen Makler verkaufen können. Die mit ihren Anwälten anwesenden beiden Eigentümer, eine junge Dame und ein Herr, saßen nun im Gerichtssaal weit voneinander entfernt an getrennten Tischen. Die von Grund auf zerstrittenen Erben dieser Luxuswohnung würdigten sich keines Blickes.
Die Preisbildung bei einer solchen Zwangsversteigerung geht vom amtlich festgestellten Verkehrswert aus. Ein Gebot muss mindestens 50 Prozent dieses Schätzwertes erreichen. Bieten kann aber nur, wer zehn Prozent des Verkehrswertes in Form eines bestätigten Bankschecks oder einer Bankbürgschaft am Richtertisch hinterlegt. Mit dem Zuschlag an den Höchstbietenden wird dieser sofort Eigentümer. Die Bieter erwiesen sich als erfahrene Profis. Die meisten traten für Kapitalanleger auf. Am Ende der zeitraubenden Prozedur wurde der Zuschlag zu einem Preis erteilt, der aber nur bei zwei Drittel des festgestellten Verkehrswertes lag.
Die beiden Erben waren schwer enttäuscht. Sie hatten deutlich mehr erwartet für die mit einer schönen Terrasse versehenen Wohnung in einer so guten Lage. Für mich war es eine erfreuliche Erfahrung dieses Gerichtsvormittags, dass offenbar die überzogenen Wohnungspreise sogar im begehrten München zurückgehen.
Miterben sollten sich lieber friedlich entgegenkommen, als einen Streit bis zur Zwangsversteigerung zu treiben. So meint doch eine andere juristische Stilblüte: „Der fehlbare Fahrzeuglenker kann sich so weitere Umtriebe und Mehrkosten ersparen“. Das gilt auch für ererbte Wohnungen.
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