Wer hyperkorrekt sein will, kann sich auch lächerlich machen. Vor einigen Monaten wurde in St. Gallen Tschaikowskys „Jungfrau von Orléans“ durch Verdis gleichnamige Oper ersetzt – Hauptsache, so dachte man dort, es erklingt nichts Russisches. Mit „Krieg und Frieden“ an der Bayerischen Staatsoper verhält es sich etwas anders. Dass vor der Premiere am kommenden Sonntag auch Kritik laut wird, und dies mit Blick auf die unüberhörbaren patriotischen Schlachtengesänge, ist nur zu verständlich.
Prokofjews Oper, erst recht Tolstois Roman-Vorlage, ist aber keine simple Verherrlichung des Krieges. Mag der Komponist auf Stalins Wohlwollen geschielt haben, so wird doch gezeigt und hörbar gemacht, was menschliche Unvernunft im Großen mit persönlichen Schicksalen im Kleinen anrichten kann. Es ist eben – obgleich differenziertes Denken (nicht nur in sozialen Netzwerken) gerade alles andere als en vogue ist – eine Frage der Abwägung.
Das hat die Staatsoper getan. Insofern ist es richtig, dass sie an diesem Projekt festhält. Die Debatte um die Premiere zeigt, welche Rolle Kunst spielen und wie sie Krisenzeiten reflektieren kann. Es wird vorgeführt, dass es auch jetzt kein Schwarz oder Weiß gibt, sondern viele Zwischentöne. Außerdem: wo anfangen, wo aufhören? Wagner feiert einmal den Aufbruch des deutschen Heeres gen Osten. Aber deshalb „Lohengrin“ streichen?
Markus.Thiel@ovb.net