Notenbank wagt großen Zinsschritt

Die EZB wählt die Cholera

von Redaktion

VON GEORG ANASTASIADIS

EZB-Chefin Lagarde hatte gestern die Wahl zwischen Pest und Cholera – und sich auf Anraten der Ärzte für die leichter zu überlebende Cholera entschieden: Um volle 50 Basispunkte auf nunmehr 3,5 Prozent hob Europas Notenbank ihre Leitzinsen an. Das beweist: Noch mehr als um die wankenden Banken sorgt sich die EZB um die eigene Glaubwürdigkeit bei der Inflationsbekämpfung. Gut so.

Die Lage in Europa ist eine andere als in den USA, wo Regionalbanken gerade reihenweise umkippen. In Europa ist der Inflationsdruck höher als in den USA, weil dort die Fed früher angefangen hat mit der Bekämpfung des Preisauftriebs. Entsprechend weiter ist sie in ihrem Zinsanhebungszyklus, so dass sich Amerikas Notenbanker eine Pause leichter leisten können als ihre EZB-Kollegen. Auch ist der Beinahe-Kollaps der Credit Suisse nicht vergleichbar mit den systemischen Problemen, unter denen US-Geldhäuser nach der Serie drastischer Zinsanhebungen durch Amerikas Notenbank leiden. Ein Blick in die Historie zeigt, dass die Fed immer nur so lange an der Zinsschraube drehte, bis die Rezession um die Ecke lugte – oder der Finanzsektor kippelig wurde. Dieser Punkt scheint nun wieder erreicht.

Aktienkäufern stellen sich nun heikle Fragen. Das renommierte Wall Street Journal warnt mit Blick auf Bankaktien Anleger davor, in die laufende Kreissäge zu greifen. Anders könnte das Bild bei den seit einem Jahr heftig verprügelten Technologieaktien aussehen, die wegen ihrer Abhängigkeit von günstigen Finanzierungsbedingungen überproportional von möglichen US-Zinssenkungen profitieren dürften. Nicht zufällig läuft der Nasdaq-Index, der vor allem Technologieaktien umfasst, seit Aufkommen der Zinssenkungsfantasien besser als der Dow Jones. Mutige Anleger wetten bereits auf die Zeitenwende an der Börse.

Georg.Anastasiadis@ovb.net

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