Asylpolitik: Das Murren wird lauter

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

Berlin – Vor zwei Wochen in Cottbus war einer der seltenen Momente, als der Kanzler mal über die Flüchtlinge reden musste. Olaf Scholz stellte sich einem Bürgerdialog. „Wir stoßen an Grenzen“, rief ihm eine Lokalpolitikerin zu, „da ist auch nicht mehr zu spaßen.“ Scholz musste ein paar Takte antworten. „Es ist viel“, befand er, „wir müssen uns unterhaken“, aber seine Regierung werde „ganz anders als in der Vergangenheit“ nun „endlich machen“. Er gelobte, Abkommen mit den Hauptherkunftsländern zu schließen, damit die ihre abgelehnten Asylbewerber zurücknehmen. Mustergültig funktioniere ein solches Abkommen bereits mit Indien.

In Cottbus reichte das für verhaltenen Beifall im Saal. Der Eindruck des Abends ist aber: Es bleiben viele Sorgen in der Bevölkerung zurück, und die Politik macht das nicht zu ihrem Schwerpunkt.

Eine neue, brisante Umfrage belegt diese Sorge. Das Institut Allensbach, nicht unbedingt Marktschreier unter den Demoskopen, hat für die „FAZ“ die Meinung zur Asylpolitik untersucht. Kernaussagen: 39 Prozent der Menschen machen sich „große Sorgen“ über die Flüchtlingssituation, mehr als seit 2016. Konkret verneinen 59 Prozent, dass Deutschland noch mehr Flüchtlinge aufnehmen könne (Osten: 69). Alarmierend ist, dass die Menschen mehr denn je am Asylrecht insgesamt zweifeln. 49 Prozent sagen, es müsse eingeschränkt werden. In der Frage, ob Zuwanderung den Fachkräftemangel abmildern könne, gibt es ein 42:42-Patt – obwohl Politik und Wirtschaft unablässig qualifizierte Zuwanderung preisen.

Das Differenzieren zwischen Kriegs-, Armutsflüchtlingen und Fach-Zuwanderung klappt nicht mehr gut. „Das hat auch damit zu tun, dass das geltende Recht in der Praxis nicht funktioniert und abschlägig beschiedene Asylgesuche oft keine Konsequenzen haben“, schreibt Allensbach-Chefin Renate Köcher in der „FAZ“. Das Zutrauen in eine gesteuerte Zuwanderungspolitik erodiere. „Die Bevölkerung wünscht sich klar definierte Ziele und Kontrolle, kann sie jedoch nur in Ansätzen erkennen.“ Nach den Daten bricht das Vertrauen in die Ampel in diesem Politikfeld weg. Eine überzeugende Zuwanderungsregelung trauen nur noch zehn Prozent der SPD zu, sechs den Grünen, vier der FDP.

In der Bundespolitik ist wenig davon zu hören. Einen großen Flüchtlingsgipfel hat Scholz zwar nach Druck von Medien und Opposition angekündigt, aber erst für 10. Mai. Treffen der Ministerpräsidenten endeten in Streit über Geld. Der Bund solle mehr zahlen. An den Ankunftszahlen, belegten Turnhallen und gescheiterten Abschiebungen ändert das erst mal null. Auch nicht an der auf 7,6 Monate angeschwollenen Dauer der Asylverfahren.

Aus der Union häufen sich Forderungen an Scholz, das Thema ernst zu nehmen. Die Regierung ignoriere die Sorgen und lasse die Hilferufe aus den Kommunen unbeantwortet, klagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt gegenüber unserer Zeitung. „Während der Migrationsdruck weiter steigt und die Staaten um uns herum Maßnahmen ergreifen, um die irreguläre Migration zu reduzieren, setzt die Ampel immer neue Anreize für mehr Migration nach Deutschland.“ Allerdings greift auch die CSU das Thema mit angezogener Handbremse auf. Parteichef Söder will harte Worte wie 2015/2018 („Asyltourismus“) strikt meiden.

Somit bleibt es bei Alarmrufen von Kommunalpolitikern – aber aller Parteien. Die Unterbringung von Geflüchteten habe bereits eine kritische Größe erreicht, „die zu spürbaren Verdrängungseffekten besonders in unteren Einkommensgruppen führt“, schrieb sogar der bayerische Grünen-Landrat Jens Marco Scherf aus Miltenberg an Scholz. Andere warnen: Möglichst wenig über Migration zu reden, dämme nicht die Sorgen der Menschen ein, sondern befeuere das Geschäft der extremen Rechten. Für Wirbel sorgte dieser Tage eine Wahlumfrage aus Sachsen-Anhalt. Dort kommt die AfD auf 26 Prozent. Die drei Ampel-Parteien erreichen 21 Prozent – gemeinsam.

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