Kiew – Erst an die Front, dann in ein befreites Gebiet: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj besuchte seit Mitte der Woche mehrere ukrainische Städte. Gestern reiste Selenskyj in die teils von Russland zurückeroberte südukrainische Region Cherson. Er habe „mit den Einheimischen über ihre Probleme und Bedürfnisse gesprochen“, erklärte Selenskyj danach.
Die Bilder des Präsidentenbüros zeigten die stark zerstörte Ortschaft. Vor allem der Wiederaufbau in der Region stand bei diesem Besuch im Fokus. „Ich denke, dass wir das sehr schnell bei Ihnen wiederaufbauen werden“, sagte Selenskyj vor den Einwohnern. Ebenso besichtigte er ein durch Beschuss beschädigtes Umspannwerk und ließ sich die Reparaturarbeiten erläutern.
Ein Großangriff Kiews zur Rückeroberung von Cherson hatte die russischen Truppen im November zum Rückzug aus dem nördlichen Teil der Region – einer landwirtschaftlichen Schlüsselregion – gezwungen. Insbesondere die Stadt Cherson ist seitdem aber immer wieder Ziel russischer Luftangriffe. In dem weiter von ihnen kontrollierten Gebiet in der Region haben haben russische Truppen und Sicherheitsdienste nach Erkenntnissen des ukrainischen Generalstabs mit sogenannten Säuberungsaktionen unter der Bevölkerung begonnen. Dort habe in verschiedenen Siedlungen die Suche nach Bürgern mit pro-ukrainischer Einstellung, Militärrentnern und Mitarbeitern ukrainischer Strafverfolgungsbehörden eingesetzt, hieß es aus Kiew.
Am Mittwoch war der ukrainische Präsident bereits an die Front bei Bachmut im Osten der Ukraine gereist. Dort finden derzeit die heftigsten Kämpfe statt. Doch trotz der schweren Zerstörungen und des Leids gebe es in diesen Gebieten Hoffnung. „Man kann sie spüren“, sagte er. Das ukrainische Militär geht davon aus, dass die russischen Einheiten im umkämpften Bachmut bald am Ende ihrer Kräfte seien. Der Befehlshaber der ukrainischen Landstreitkräfte, Olexander Syrsykj, kündigte dort eine baldige Gegenoffensive an. „Wir werden recht bald diese Gelegenheit nutzen, wie wir es seinerzeit bei Kiew, Charkiw, Balaklija und Kupjansk gemacht haben.“
Selenskjs Besuch in Bachmut war wie jener in Cherson aus Sicherheitsgründen ohne öffentliche Vorankündigung erfolgt. Später war er auch in der Stadt Charkiw im Nordosten zu Gast.
Bei einem Besuch von Estlands Außenminister Urmas Reinsalu in Kiew kam es zu einer Schrecksekunde: Das gepanzerte Fahrzeug, das Reinsalu und den estnischen Botschafter Kaimo Kuusk beförderte, fing plötzlich Feuer. Nur mit Mühe habe das Personal von außen die Türen öffnen können, berichtete der estnische Außenminister. Verletzt wurde niemand. Die Brandursache ist unklar.
Rückendeckung bekommt Kiew derweil aus der Europäischen Union (EU). Beim EU-Gipfel sagte Kanzler Olaf Scholz, Putin habe nie mit einer so geschlossenen Unterstützung des Westens für die Ukraine gerechnet. „Und wir sind auch vorbereitet darauf, die Ukraine so lange zu unterstützen, wie das tatsächlich notwendig sein wird.“ Selenskyj, der zugeschaltet wurde, forderte die EU-Staaten zur Lieferung moderner Kampfjets an sein Land auf. Er sei Polen und der Slowakei dankbar für die Entscheidung, Kampfjets des Typs MiG-29 bereitzustellen. dpa/afp