Moskau – Zurückgelehnt im Sessel kündigt Kremlchef Wladimir Putin in ruhigem Ton im russischen Staatsfernsehen die Stationierung taktischer Atomwaffen in Belarus an. Die Nachricht aus Moskau macht am Samstagabend blitzschnell die Runde. Erstmals rückt der 70-Jährige nun die nuklearen Geschosse näher an die EU und Nato heran. Es ist eine neue konkrete Atomdrohung, nachdem Putin bereits die strategischen Nuklearwaffen im Zuge seines Krieges in der Ukraine in erhöhte Bereitschaft versetzt hat – zur Abschreckung der Nato.
Putin will sich erneut Gehör verschaffen und zeigen, dass er nicht blufft, sondern handelt. Die Nato sowie Politik und Experten im Westen tun den Schritt am Sonntag aber überwiegend als bloßen Einschüchterungsversuch ab. Putins Ziel sei es vor allem, die militärische Unterstützung des Westens für die Ukraine zu brechen, heißt es.
Beeindrucken lassen wollen sich weder der Westen noch die Ukraine von Putins Muskelspielen. Auch die Experten des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW) sehen keine wachsende Gefahr eines möglichen Atomkrieges. Das Risiko bleibe „extrem niedrig“. Schon bisher könne Russland mit seinen Atomwaffen jeden Punkt der Erde erreichen, dafür brauche es seinen Verbündeten Belarus nicht, so die ISW-Analyse.
Zehn Flugzeuge sind nach Darstellung Putins in Belarus schon so umgerüstet worden, dass sie die Waffen tragen können. Hinzu kommen Iskander-Raketen, die mit atomaren Sprengköpfen bestückbar sind. Schon am Montag in einer Woche soll die Ausbildung an den Waffen beginnen, sagt Putin in dem Interview des TV-Senders Rossija-24. Am 1. Juli sollen dann die Depots für die Raketen fertig sein.
Und der Kremlchef betont auch, dass Russland damit nicht gegen seine internationalen Verpflichtungen zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen verstoße. Die Begründung: Russland gebe die Kontrolle der Waffen nicht aus der Hand, sondern halte sie nur dort vor. Die USA handelten auch so. „Wir machen nur das, was sie schon seit Jahrzehnten machen“, sagte er mit Blick auf US-Atomwaffen in Europa.
Unabhängige russische Beobachter sehen in Putins Schritt eine „panische Reaktion“ angesichts der Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine. Putin habe keine Strategie mehr, meint der Politologe Abbas Galljamow. „Deshalb wankt er hin und her.“
Tatsächlich hat Putin erst am vergangenen Dienstag bei seinem Treffen mit Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping in Moskau eine Erklärung verabschiedet, in der sich Moskau und Peking dagegen aussprachen, Atomwaffen in Drittstaaten zu stationieren. Die Aufforderung richtete sich aber an die USA. Putin hatte immer wieder gefordert, das Land möge etwa seine Atomwaffen auch aus Deutschland abziehen. Weil das aussichtslos ist, dürfte er sich nun revanchieren wollen – und wählt nicht die russische Ostseeregion Kaliningrad, die zwischen Polen und dem Baltikum liegt, sondern Belarus in Nachbarschaft zur Ukraine und mit direktem Blick auf den Krieg.
Aus Sicht von Experten zementiert Russland nun seinen militärischen Einfluss in Belarus. Der belarussische Politologe Alexander Klaskowski meinte, dass Russland mit seiner „atomaren Erpressung“ Belarus in Geiselhaft nehme. Für das Land wachse die Gefahr, Ziel eines atomaren Gegenschlags zu werden, wenn Russland von dort aus nukleare Raketen zünde. Machthaber Lukaschenko hatte dagegen stets erklärt, ihm gehe es vor allem um eine Abschreckung der Nato-Staaten.
Die USA haben im Zuge der nuklearen Abschreckung schon lange Atombomben in mehreren europäischen Ländern stationiert. Offizielle Angaben gibt es dazu zwar nicht, es sollen aber weiterhin in den Niederlanden, Belgien, Italien und Deutschland US-Atomwaffen lagern, und außerdem auf der US-Luftwaffenbasis Incirlik im asiatischen Teil der Türkei. Expertenschätzungen zufolge sollen es insgesamt noch etwa 100 sein.