Demokratie lebt von Menschen, die für sie einstehen. Insofern beweisen die Israelis im 75. Jahr nach der Gründung ihres Staates eindrucksvoll, dass ihr Land wirklich den Titel einzige Demokratie des Nahen Ostens verdient. Seit Wochen nicht nachlassende Proteste, Reservisten, die den Armee-Dienst verweigern, Gewerkschaften, die mit einem Generalstreik Druck machen: Sie alle nehmen nicht hin, dass die rechts-religiöse Regierung die Gewaltenteilung aushebelt.
Es ist beschämend, dass sich Benjamin Netanjahu von dieser demokratischen Wucht nicht wirklich beeindrucken lässt. Er kassiert seinen Radikal-Angriff auf die unabhängige Justiz nicht ein, sondern spielt nur auf Zeit. Schlimmer noch, er spaltet die Gesellschaft weiter, indem er verlogen vor Bürgerkrieg warnt, gleichzeitig aber die Unterstützer seines autokratischen Kurses zu Gegenprotest aufhetzt. Das alles nur, weil es ihm und seinen teils vorbestraften Ministern darum geht, sich für vergangene Prozesse an der Justiz zu rächen und künftiger juristischer Verfolgung zu entgehen. Befriedet ist also nichts durch Netanjahus Reform-„Pause“.
Der trickreiche Premier setzt darauf, dass sich die Protestbewegung zersplittert. Gleichzeitig betreibt seine Regierung die Radikalisierung der Palästinenser – mit verbalen Provokationen und skandalöser Siedlungspolitik. Netanjahus zynisches Kalkül: Die leider erwartbaren gewalttätigen Reaktionen der Palästinenser werden die Israelis schon wieder einen.
Klaus.Rimpel@ovb.net