Kiew/Jahidne – Jahidne ist ein feuchtkaltes Nest an diesem Montag Anfang April. Hähne krähen. Hinter Absperrband steht eine Gruppe Dorfbewohner und beobachtet, was passiert, wenn Wolodymyr Selenskyj auftaucht: Eine Kolonne schwerer schwarzer Geländewagen braust heran, vermummte Soldaten mit dem Finger am Abzug steigen aus, Sicherheitskräfte umringen das Gelände. Der Präsident der Ukraine schüttelt Robert Habeck die Hand.
Die beiden treffen sich in Jahidne, weil hier vor gerade einmal einem Jahr mehrere hundert Menschen eine Version der Hölle auf Erden erlebten. Als russische Truppen Anfang März 2022 in das verschlafene Dorf in der Nordukraine einmarschierten, pferchten sie 350 Einwohner im Keller der Schule über Wochen zusammen, der Platz reichte kaum, um sich einmal zu setzen oder gar hinzulegen. Elf überlebten die unmenschlichen Bedingungen laut Selenskyj nicht. Mehr als ein weiteres Dutzend Bewohner sollen die russischen Besatzer ermordet haben.
„All unsere Partner müssen diese Keller sehen, um zu verstehen, dass sie der Ukraine helfen müssen“, sagt Selenskyj, als er und Habeck den Keller wieder verlassen. „Alles, was man dem Präsidenten Russlands wünschen kann, ist, dass er die ihm verbleibenden Tage im Keller mit einem Eimer anstelle einer Toilette verbringt.“
Die Ukraine brauche mehr Unterstützung, antwortet Selenskyj auf die Frage, wie zufrieden er mit der deutschen Militärhilfe sei – aber auch der von den USA, Großbritannien und der EU. Man sehe ja, was Russland anrichte, sagt er, die Schule im Rücken und Habeck an der Seite.
Habeck ist ein später Ukraine-Reisender, viele deutsche Minister und Kanzler Olaf Scholz (SPD) waren vor ihm da. Von ihnen allen muss er allerdings wohl am wenigsten beweisen, wie ernst es ihm mit der Unterstützung ist. Im Mai 2021 war er das letzte Mal in der Ukraine und machte sich bei den Grünen, deren Vorsitzender er damals war, mit seinem Ruf nach einer Lieferung von „Defensivwaffen“ für die Ukraine unmöglich. Die damals noch schwarz-rote Bundesregierung erteilte der Forderung eine Absage.
„Jetzt sind wir weiter, und das ist gut, und das ist richtig“, sagt Habeck heute. „Ich glaube, wir haben trotzdem noch ein bisschen zu erklären, warum das alles so lange gedauert hat und warum wir vor dem Angriffskrieg nicht bereit waren, die Ukraine zu unterstützen.“
Geradezu überschwänglich loben ukrainische Regierungsvertreter inzwischen regelmäßig die deutschen Waffensysteme. Die Verstimmungen über die lange als zögerlich wahrgenommene Haltung der Bundesregierung scheinen beigelegt. Besonderer Dank gilt den Deutschen neben der Lieferung des Flugabwehrsystems Iris-T vor allem wegen der Leopard-2-Panzer für die in den nächsten Wochen erwartete Frühjahrsoffensive der Ukrainer.
Habeck ist insbesondere als Wirtschaftsminister angereist und hat etwas mitgebracht: „Eine Wirtschaftsdelegation, die der Ukraine die Hoffnung macht, dass es nach dem Krieg einen Wiederaufbau geben wird.“ Im nächtlichen Sonderzug mitgereist sind Verbandschefs wie der BDI-Präsident Siegfried Russwurm, Manager und eine Vertreterin der Förderbank KfW. „Konkrete Investitionsentscheidungen“ seien entweder schon gefallen oder sollten noch getroffen werden, sagt Habeck. Auch die Energiepartnerschaft Deutschlands mit der Ukraine will der Grünen-Politiker neu auflegen, um das ukrainische Energiesystem wieder aufzubauen, es abzusichern und klimafreundlicher zu machen. Habeck: Die Ukraine wolle jetzt „ein starkes Zeichen des Wiederaufbaus“ setzen.