Der Mann, der die Grünen regierungsfähig machte

von Redaktion

Joschka Fischer wird heute 75 Jahre alt – um den Politbetrieb macht er inzwischen lieber einen Bogen

München – Er wäre in diesen Tagen voller Schlagzeilen aus Russland und China eigentlich einer, auf den man hören würde. Aber Joschka Fischer, der einstige Rebell, der zum Staatsmann mutierte, mag nicht mehr. Talkshows? Hasst er. Interviews? Nein danke. Der Mann, der die Grünen in Deutschland groß gemacht hat, will nicht mehr in die Öffentlichkeit.

Im vergangenen Sommer hat er mal eine Ausnahme gemacht. Ein Gefallen für Katrin Habenschaden. Für die Münchner Bürgermeisterin kam er zum Doppelinterview mit unserer Zeitung an die Isar. Ein wenig alt geworden. Ein bisschen grummelig. Aber dann im Gespräch doch ganz freundlich. „Die Weltlage ist mehr als bescheiden“, brummte er. „Aber persönlich geht es mir gut.“ Rasch zeigte sich: Fischer ist noch immer ein zutiefst politischer Mensch. Nur mit dem Politikbetrieb will er nichts mehr zu tun haben.

Heute wird Joschka Fischer 75 Jahre alt. Ein Leben, mit dem man Bücher füllen kann. Voller Widersprüche, voller Brüche, nie langweilig. Ein Mann, der Bilder für die Geschichtsbücher lieferte: Das seiner Vereidigung 1985 als hessischer Umweltminister in Turnschuhen. Oder das mit Anzug, Sektglas und Siegelring an der Seite von Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine nach dem Wahlsieg 1998, der das Ende der Ära Kohl und für Deutschland eine Zeitenwende bedeutete. Oder das vom Farbbeutel, der ihn 1999 beim Sonderparteitag der Grünen aus Protest gegen das Nato-Engagement im Kosovo traf. Und dazu natürlich die Bilder des Marathonläufers, der sein Gewicht so wechselte wie seine politischen Rollen.

Unvergessen auch Fischers Auftritt auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2003, als der deutsche Außenminister dem amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld vor großem Publikum ein „I am not convinced“ an den Kopf warf. Nein, er sei nicht überzeugt von den „Beweisen“, laut denen Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen besitze. Und deshalb halte er auch nichts davon, militärisch im Irak einzumarschieren. Ein Tiefpunkt der deutsch-amerikanischen Beziehungen in der Nachkriegszeit. Aber später hat die Geschichte Fischer Recht gegeben.

Es birgt eine gewisse Ironie, dass Deutschland ausgerechnet jetzt, zu Fischers Jubeltag, das letzte AKW abschaltet. Der Kampf gegen die Atomkraft gehörte lange zu den Eckpfeilern seines politischen Lebens. Aber er war eben später auch Realo genug, um sich in der Regierungsverantwortung mit den Gegebenheiten zu arrangieren. Es mussten erst die nächste konservativ geführte Bundesregierung (unter Angela Merkel) und die Katastrophe von Fukushima kommen, ehe der Ausstieg beschlossen wurde.

Fischer selbst war das Konservative durchaus vertraut. „Schauen Sie, ich bin so streng katholisch erzogen, dass ich das nicht aus den Klamotten bekomme“, hat der im baden-württembergischen Gerabronn geborene Metzgersohn einmal gesagt. Es war der Trotz gegen dieses Umfeld, das aus Fischer einen Revoluzzer machte. Ab 1967 engagierte er sich in der Studentenbewegung, was ihn sogar zu einer PLO-Versammlung nach Algier verschlug. Und dann, am 7. April 1973 (noch so ein Jahrestag in diesen Wochen) kam es im Frankfurter Nordend zum Angriff auf den Polizisten Rainer Marx. Die „FAZ“ hat Marx unlängst interviewt. Denn unter den Angreifern war der junge Fischer. Als der Vorgang 1998 öffentlich wurde, stand sogar Fischers Rücktritt im Raum. Der Außenminister aber lud Marx zum Essen ein und entschuldigte sich.

2005, mit Ende von Rot-Grün, beendete Fischer seine Politkarriere. Er gründete die Beratungsfirma „Joschka Fischer and Company“ und schrieb Bücher. Dazu eine Gastprofessur an der US-Uni Princeton. Elder Statesman also, während der alte Kumpel Gerhard Schröder sein Denkmal zerstörte. Was er von dessen Rolle hält, kann man sich denken. Aber sagen? Nein, sagen will Fischer dazu nichts. MIKE SCHIER

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