Mittlerweile ist es kaum noch möglich, Taiwan zu schocken. Die Militärmanöver aus China waren kalkulierbar – dass Peking auf Freundschaftsbesuche zwischen dem Inselstaat und den USA mit Kampfjets reagiert, ist jedenfalls nichts Neues. Im Gegenteil: Taiwaner sind mit diesen Provokationen geboren und aufgewachsen. Womit Taipeh hingegen nicht rechnen konnte, ist die Reaktion aus Europa: Ausgerechnet jetzt äußert Frankreichs Präsident Macron Zweifel, ob er sich im Konflikt um Taiwan an die Seite der USA stellen möchte – nur wenige Tage nach seinem Staatsbesuch in China.
Der wahre Schock kommt aus Paris. Die EU solle kein Mitläufer sein, findet Macron, und seinen Umgang mit Peking im Taiwan-Konflikt überdenken. Es bleibt nur zu hoffen, dass er sich der Gefahr seiner Aussage nicht bewusst war: Xi Jinping will mit Manövern nicht nur sein Militär trainieren, sondern auch die Reaktion des Westens testen. Bekommen hat er ein gleichgültiges Schulterzucken: Ein Angriff auf Taiwan wäre nicht unser Problem, lautet das Signal aus Frankreich. Vielleicht ist es ein Symptom der Kriegsmüdigkeit; womöglich hält Macron den Zusammenhalt freier Demokratien nicht mehr für so relevant wie profitable Wirtschaftsdeals mit China. Dabei sollte vor allem Europa seit dem Ukraine-Krieg wissen, wie wichtig es ist, gemeinsam gegen Autokraten einzustehen. Ein gespaltener Westen wäre hingegen das Go für Pekings Invasion.
Kathrin.Braun@ovb.net