München – Es ist der späte Sieg der Anti-Atomkraft-Bewegung und gleichzeitig das Ende einer Ära. Nach 50 Jahren „Atomkraft? Nein danke“ werden nun die letzten drei Meiler in Deutschland vom Netz genommen. Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 werden am Samstag abgeschaltet. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nennt den Ausstieg „unumkehrbar“. Daran wollen viele aber noch nicht glauben – auch in der Ampel gibt es Widerstand. Mindestens bis Frühjahr 2024 müssten die Kraftwerke reaktivierbar bleiben, fordert die FDP.
In den letzten verbliebenen Tagen vor dem Atom-Aus starten die Liberalen einen Rettungsversuch: „Mission Tomorrow: Energiesouveränität als Antwort auf den russischen Energiekrieg“ heißt das 14-seitige Papier, das einen endgültigen Ausstieg zumindest aufschieben soll. Vorerst. „Wir sind überzeugt, dass die Reihenfolge des Ausstiegs aus den bestehenden Kern- und Kohlekraftwerken in Deutschland mit Blick auf das Klima die falsche ist“, heißt es. Die FDP will Zeit gewinnen. Vielleicht ließe sich der Ausstieg dann doch noch vermeiden, so die Hoffnung. „Wir sollten auch die Chancen neuer und sicherer Technologien der Kernspaltung und Kernfusion ergebnisoffen diskutieren“, sagt Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Es sei bedauerlich, dass die Grünen blockieren und kein Einsehen haben.
Industrie und Union springen der FDP bei. „Das ist reine Ideologie der Grünen“, sagt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zum Atomausstieg. „Stattdessen auf Kohle zu setzen, ist ökologisch falsch. Außerdem bleiben die Energiepreise dauerhaft hoch. Das schwächt den Industriestandort Deutschland nachhaltig.“ CDU-Fraktionsvize Jens Spahn geht noch weiter – das Atomkraft-Aus sei „ein schwarzer Tag für den Klimaschutz“. Habeck lasse „lieber Kohlekraftwerke laufen – den Klimakiller schlechthin, CO2-Drecksschleudern – als klimaneutrale Kernkraftwerke“.
Die Industrie warnt vor Engpässen. Deutschland sei beim Thema Versorgungssicherheit „noch nicht über den Berg“, warnt Peter Adrian, Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). „Wir müssen deshalb weiterhin alles dafür tun, das Angebot an Energie auszuweiten und es keinesfalls weiter einzuschränken.“ Deutschland sei auf alle verfügbaren Energieträger angewiesen. Nur so könne man „massive Steigerung der Energiepreise vermeiden“.
Insbesondere Bayern hält an der Atomenergie fest. „Isar 2 deckt etwa 15 Prozent des Stromverbrauchs im Freistaat ab“, sagt Detlef Fischer, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW) gegenüber unserer Zeitung. „Das ist nicht wenig. Und vor allem ist die Abschaltung nicht ökologisch.“ Im Jahr 2010 hätte Bayern noch 70 Prozent des Stromverbrauchs aus der Kernkraft gewonnen, sagt Fischer. „Mit der Wasserkraft zusammengenommen hatten wir damals bereits etwa 90 Prozent CO2-freien Strom. Also genau das, wo wir heute händeringend hinwollen.“ Fischer warnt, dass sich vor allem Bayern in der Stromversorgung von seinen Nachbarn abhängig mache. „Und wenn es in anderen Ländern zu extremer Knappheit kommen sollte, haben auch wir ein Versorgungsproblem.“
Die Grünen lassen jedoch nicht mit sich diskutieren. Habeck betonte, die Energieversorgung sei sicher. „Die Energieversorgungssicherheit in Deutschland wurde in diesem schwierigen Winter gewährleistet und wird auch weiter gewährleistet sein“, sagte er. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt erwartet trotz des Atomausstiegs perspektivisch sinkende Strompreise. „Der Strompreis wird natürlich günstiger werden, je mehr Erneuerbare wir haben“, sagte sie. „Wind und Sonne, die kriegen wir immer zum Nulltarif.“ Atomkraft dagegen sei „teuer, sowohl in der Herstellung, in der Produktion, als auch danach“, so Göring-Eckardt. (mit dpa)