Evolution statt Revolution

von Redaktion

VON MARCUS MÄCKLER

München – Als die CSU zuletzt ein Grundsatzprogramm beschloss, herrschte Eiszeit. Das war im November 2016, aber es fröstelte nicht nur draußen, sondern auch zwischen München und Berlin. Der Migrations-Streit zwischen den Unions-Schwestern schwelte noch, statt der Kanzlerin lud die CSU einen künftigen Kanzler zum Münchner Parteitag ein: den Österreicher Sebastian Kurz. Der passte irgendwie auch besser zum Papier mit dem kantig-konservativen Titel: „Die Ordnung“.

Sechseinhalb Jahre ist das her, seither hat sich im Verhältnis der beiden Unions-Parteien vieles verändert. Dazu passt, das beide Parteien sich neue Grundsatzprogramme geben wollen. Während die CDU noch tüftelt, legen die Christsozialen vor: Auf 90 Seiten hat eine Kommission die Leitlinien der Partei definiert. Sie liegen, grob zusammengetackert, am Freitag auf den Tischen in der Münchner CSU-Zentrale.

Man habe natürlich nicht alles umgeworfen, sagt Generalsekretär Martin Huber, denn „unsere Grundsätze tragen uns seit Jahrzehnten“. Das neue Programm sei eher eine „Evolution“ des alten. Huber spricht von einer „Standortbestimmung“ als bürgerlich-konservative Kraft. Der Titel klingt sanfter als 2016: „Für ein neues Miteinander“.

Es ist das achte Grundsatzprogramm der CSU, Parteichef Markus Söder hatte im Februar letzten Jahres befunden, es sei mal wieder Zeit. Er beauftragte ein Trio mit der Umsetzung, neben Huber die Bundestagsabgeordnete Anja Weißgerber und den Landtagsabgeordneten Gerhard Hopp. „Pfiffige junge Leute“ seien das, sagte Söder leicht altväterlich. Ein Jahr arbeiteten sie in einer 62-köpfigen Kommission an dem Programm. Huber sagt, es solle in Zeiten vieler Krisen Orientierung geben. „Je stürmischer die Zeiten sind, desto mehr brauche ich einen Kompass.“

Große Überraschungen bietet das Papier nicht, dafür viel Selbstverortung. Es betont die Rolle der CSU als Volkspartei, die Gegensätze zusammenbringen könne. Es spricht von Eigenverantwortung und Liebe zur Heimat, will Wirtschaftswachstum und Klimaschutz verbinden, fordert eine Begrenzung der Migration. Klar formuliert das Programm den Respekt vor allen Formen des Zusammenlebens, bekennt sich aber grundsätzlich zur „traditionellen Ehe von Mann und Frau“; und das in einer Zeit, sagt Weißgerber, „in der die Ampel den Familienbegriff völlig verwischt“.

Überhaupt, die Ampel. Sie spiele die Menschen mit ihrer „Gender-Ideologie, Wokeness und Cancel Culture“ gegeneinander aus, sagt Huber. Das Thema, auf das sich auch Parteichef Söder in letzter Zeit eingeschossen hat, taucht im Grundsatzprogramm ganz vorne auf, dort, wo es um die Wertefundamente geht. Selbstverständliches dürfe man nicht mehr beim Namen nennen, sagt Huber, stattdessen gebe es jede Menge Vorschriften und Verbote. Weißgerber spricht von einer „illiberalen Ideologie“. Dem setze man die Liberalitas Bavariae entgegen, also leben und leben lassen.

Die CSU-Basis dürfte das gerne hören, die Delegierten, die das Programm beim Parteitag am 6. Mai absegnen sollen, ebenfalls. Dann wird auch der Chef selbst da sein – bei der Vorstellung am Freitag fehlt Markus Söder allerdings. Er hat Termine. Überhaupt habe er der Kommissionsleitung, ganz selbstlos, den Vortritt lassen wollen. Aber eingebracht habe sich Söder schon, meint Huber dann. „Und er hat das Programm gelesen.“

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