„Söder hat null politischen Kompass“

von Redaktion

München – Die Ära der Atomkraft geht zu Ende. Der Umwelt- und Energiepolitiker Matthias Miersch (SPD) trauert dem nicht nach. Im Interview erklärt er, was jetzt auf Stromkunden zukommt.

Am Samstag werden die letzten AKW abgeschaltet. Was sagen Sie zu Markus Söders Vorschlag, Kernkraft weiter zu nutzen?

Ich mache jetzt Energie- und Umweltpolitik seit 18 Jahren und die Haltung von Markus Söder spricht Bände. Sie ist ein einzigartiger Zickzack-Kurs mit null politischem Kompass. Nach der Katastrophe von Fukushima hat Söder noch mit seinem Rücktritt gedroht, wenn die Koalition weiter an der Atomkraft festhalte. Das wichtigste Thema jetzt ist der Ausbau der erneuerbaren Energien, was damals gerade bei Schwarz-Gelb massiv in den Keller gerutscht war. Deswegen brauchen wir ein Ende für die Atomkraft und Vorrang für die Erneuerbaren.

Wir sind inmitten einer Klima- und gleichzeitig in einer Energiekrise. Ist der Zeitpunkt für den Ausstieg nicht denkbar ungünstig?

Schon eine von Angela Merkel eingesetzte Ethikkommission mit Kardinal Marx hat damals gesagt: Diese Technologie ist ethisch nicht vertretbar. An diesen Voraussetzungen hat sich gar nichts geändert. Wir hinterlassen 30 000 Generationen nach uns Müll und wissen nicht, wohin damit. Und Herr Söder ist ganz vorne dabei, Bayern aus der Suche nach einem Endlager herauszuhalten.

Was sagen Sie Bürgern, die Angst vor einer Stromkostenexplosion haben?

Wir haben im letzten Jahr durch die Preisbremse gezeigt: Wir greifen in den Markt ein und gewährleisten Bezahlbarkeit. Zudem ist Atomkraft weitaus teurer als jede andere Energieform. Endlagerkosten etwa wurden nie in den Strompreis mit einberechnet. Was CDU/CSU momentan für Ängste generieren, ist eine Frechheit.

Etliche Experten sorgen sich um die Versorgungssicherheit!

Atomkraft ist für die Versorgungssicherheit nicht relevant. Das belegen viele Studien und auch die Energieversorger sagen, es drohen keine Blackouts. Mittelfristig müssen wir jetzt die Erneuerbaren massiv ausbauen. Hier muss gerade Bayern seine Hausaufgaben machen. Der Bund hat durch den Bau der LNG-Terminals und das Aktivieren von Kohlekraftwerken vorgesorgt. Wenn es nach der Union gegangen wäre, hätten wir im März 2022 ein einseitiges Gasembargo gegen Russland ausgesprochen. Das hätte zu einem energiepolitischen Desaster geführt. Insofern lasse ich mir von CDU/CSU nicht vorwerfen, dass wir die Versorgungssicherheit gefährden.

Entschuldigung, aber Kohleenergie kann ja wohl auch nicht die Lösung sein.

Die Kohle ist für die Wärmeversorgung an einigen Stellen zentral gewesen. Es ist aber richtig, dass wir mit RWE den Kohleausstieg auf 2030 vorgezogen haben. Die große Aufgabe aber ist: Wir müssen bis dahin mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien vorankommen.

Der Ausbau der Erneuerbaren stockt aber trotzdem noch ziemlich.

Ja, wir haben ein großes Problem in Bayern und Baden-Württemberg – geringere dagegen in Norddeutschland. Aber die Ampel-Koalition hat viele Gesetze auf den Weg gebracht, die erst jetzt in Kraft treten. Insofern muss man jetzt auch mal warten, bis die Gesetze wirken.

Aber auch die FDP, mit der die SPD neuerdings wieder so gut kann, …

…ich konnte mit der FDP schon immer…

…hat Sorge. Deswegen gibt es den Vorschlag, die drei letzten Meiler in Reserve zu halten.

Ein Atomkraftwerk ist keine Waschmaschine, die man mal hoch- und wieder herunterfahren kann. Hier gibt es Sicherheitsanforderungen. Deswegen kann man nicht mal eben einen Reservebetrieb aufrechterhalten. Wir brauchen Planungssicherheit und das funktioniert nicht, wenn wir Atomkraft durch die Hintertür am Leben erhalten.

Drückt das Thema auf die Stimmung in der Ampel?

Dass wir beim Thema Atomkraft unterschiedlicher Auffassung sind, stand schon vor den Koalitionsverhandlungen fest. Aber in einer Demokratie darf das auch sein. Ich bin nur dafür, dass wir nach vorne blicken und keine rückwärtsgewandten Debatten führen.

Entfremdet sich die SPD momentan von den Grünen?

Jeder ist für Klimaschutz – bis er konkret wird. Jetzt geht es eben in Bereiche, die für jeden Bürger spürbar sein werden, wie etwa beim Heizungstausch. Und da wird es natürlich an der ein oder anderen Frage zum ökologischen, sozialen und ökonomischen Aspekt knirschen. Bei den Grünen werden da bestimmt die Schmerzen der Alltagspolitik spürbar. Aber da muss man durch, wenn man politische Verantwortung trägt. INTERVIEW: G. ANASTASIADIS, M. SCHIER, L. HUDELMAIER

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