Heiz-Streit lässt die Ampel glühen

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

Berlin/München – Am Mittwoch um 12:01 drückt Christian Lindner auf „Senden“, und ein irgendwie wunderlicher Beitrag geht um die Welt. Soeben habe das Kabinett das Heizungsgesetz beschlossen, teilt der Bundesminister mit. Doch statt den Beschluss zu lobpreisen, tippt er: „Ich erwarte, dass nun im parlamentarischen Verfahren notwendige Änderungen vorgenommen werden.“ Man müsse Finanz-Bedenken ausräumen und solle die Menschen „möglichst wenig belasten“.

Mit anderen Worten: Der FDP-Chef fordert, das Minuten zuvor beschlossene Gesetz auf keinen Fall so in Kraft treten zu lassen, weil es nicht bezahlbar ist und die Bürger überfordert. Das ist im politischen Betrieb, vorsichtig ausgedrückt, sehr ungewöhnlich. Man könnte nun spöttisch Lindners alten Satz aus 2017 rausziehen, es sei besser, „nicht zu regieren, als schlecht zu regieren“. Und daraus schließen: Die jüngsten Beschlüsse, vor allem zu den Heizungen, bringen die Ampel-Koalition in die Nähe der Existenzfrage.

Ist das übertrieben? In der FDP gibt es jedenfalls enorme Turbulenzen. Der Abgeordnete Frank Schäffler spricht öffentlich davon, der Heiz-Plan sei „eine Atombombe für unser Land“. Schäffler mag sein Image als Rebell pflegen, seine Wortwahl ist extrem. Doch auch andere aus der FDP-Fraktion haben schwere Bedenken. Befeuert wird das durch unangenehme Schlagzeilen: „Heiz-Heuchelei“, titelt Bild, die FDP tanze nach der Pfeife des grünen Vizekanzlers Robert Habeck. „Gut gemeint, schlecht gemacht“, urteilt die FAZ.

Mit seiner Doppelstrategie – Ja im Kabinett, dann im Bundestag Änderungen erzwingen – will Lindner die Partei irgendwie durch diesen Orkan steuern. Ob er inhaltlich viel durchsetzen kann, ist offen – die Koalitionspartner mauern. Die Grünen lassen ausrichten, „Zaudern und Zögern“ im parlamentarischen Verfahren könne man sich nicht leisten. Kanzler Olaf Scholz (SPD) persönlich sagt, das Gesetz sei „eine Lösung, die so ziemlich alle Fälle, auf die man kommen kann, bedacht hat“.

Was Lindner das Leben nicht leichter macht: Heute beginnt in Berlin der Bundesparteitag der Liberalen, mit Debatten und Wahlen. Das ist ein wichtiger Stimmungstest nach anderthalb Jahren Koalition. Auch für ihn selbst, der 2021 noch mit 93 Prozent als FDP-Chef bestätigt wurde. Gut möglich, dass er an seinem Wahlergebnis am Freitagnachmittag dann den Ampel-Frust der letzten Monate ablesen kann. Oder die Unruhe nach mehreren sehr schmerzhaften Wahlniederlagen in den Ländern.

Vor dem Parteitag versucht Lindner deshalb auch, das Profil der Partei zu betonen. In einem Leitantrag will er viele Vorschläge beschließen lassen, deren Umsetzung in der Ampel vor allem auf Widerstand der Grünen treffen dürfte – mehr Gentechnologie bei der Nahrungsmittelproduktion, Schiefergasförderung in Deutschland, mehr Straßenbau und die weitere Forschung an Kernenergie.

Weiteres Zoff-Potenzial also. So weit, die Ampel infrage zu stellen, gehen auch krawallige Liberale aber nicht. Es ist eine Frage der Alternativen: Da käme ja wohl nur ein Jamaika-Bündnis infrage. Für die FDP wäre das keine Erleichterung, denn das Verhältnis zur Union ist in den letzten Wochen dramatisch abgekühlt. Und die Grünen als inhaltlich großer Gegner wären weiterhin dabei.

Die größten Sorgen haben die Vertreter aus den Ländern, die im Oktober wählen. In Bayern und Hessen droht die FDP auch noch unter fünf Prozent zu fallen. Eigentlich sei die Ampel bisher „relativ gut gelaufen“, sagt der bayerische FDP-Abgeordnete Daniel Föst, verweist auf Verbrenner oder Infrastruktur. Von Koalitionsbruch will er nichts wissen. Dem Heizungs-Gesetz aber misst er, weil es 84 Millionen Deutsche direkt trifft, höchste Brisanz zu. „Dieses Gesetz muss verbessert werden. Es ist nicht fertig, nicht praktikabel.“

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