Biden will es noch mal wissen

von Redaktion

VON CHRISTIAN JACKE

Washington – Es geht nicht ohne Pathos. Es gehe um die Freiheit jedes Einzelnen, um Demokratie, um Grundwerte, um die „Seele der Nation“, sagt Joe Biden, als er verkündet, dass er noch mal für eine zweite Amtszeit antritt. Mit einem dreiminütigen Video steigt der 80-Jährige offiziell ins Rennen für die Wahl im kommenden Jahr ein.

Die Botschaft: In dem Clip zeichnet Biden ein Bild von Amerika in zwei Versionen. Da wäre das freundliche, gerechte Amerika mit einem lächelnden Biden, der Hände schüttelt, Menschen umarmt und mit Kindern scherzt. Daneben – nach Bidens Lesart – ein düsteres, unsoziales Amerika mit extremen Republikanern wie Donald Trump, Ron DeSantis oder Marjorie Taylor Greene, in dem Randalierer den Kongress stürmen und Radikale den Frauen das Recht auf Abtreibung nehmen. Bidens Botschaft: Ihr habt die Wahl – die oder ich.

Das Problem: Während es bei vielen Vorgängern Standard war, dass sie sich um eine Wiederwahl bewerben, war es bei Biden lange fraglich. Der Demokrat zog 2021 bereits als ältester Präsident aller Zeiten ins Weiße Haus ein. Beim Ende der nächsten Amtszeit wäre er 86. Ist ein siebenfacher Großvater in dem Alter der richtige Mann, um einen der härtesten Jobs der Welt zu machen?

Erst am Wochenende veröffentlichte der Fernsehsender NBC eine für Biden wenig schmeichelhafte Umfrage. Demnach sind 70 Prozent der Amerikaner der Meinung, Biden sollte nicht noch mal antreten. Etwa die Hälfte der befragten Biden-Skeptiker gab dabei an, sein Alter sei ein wesentlicher Grund für ihre Zurückhaltung.

Auch bei den Demokraten wurde Bidens Alter in den vergangenen Monaten wild diskutiert, vor allem hinter den Kulissen, aber auch öffentlich. Der demokratische Abgeordnete David Trone formulierte es so: „Ich wünschte, er wäre 30 Jahre jünger, 20 Jahre jünger, 10 Jahre jünger. Aber es ist, wie es ist.“ Begeisterung klingt anders.

Statt Aufbruchsstimmung herrscht bei vielen Demokraten eher zurückhaltende bis widerwillige Akzeptanz für Biden als erneuten Spitzenmann. Gemischt mit dem Eindruck, dass die Partei ansonsten niemanden aufzubieten hat, der noch mal Trump verhindern könnte – oder einen wie Trump, Floridas Gouverneur DeSantis etwa.

Bidens Vorteil: Der Präsident bringt viel politische Erfahrung mit, er verspricht Stabilität und Mäßigung, fernab von jedem Extrem. Einige sahen Biden aber eher als Übergangspräsidenten, der nach vier Jahren Trump wieder Ruhe reinbringen würde. Politisch lieferte Biden in den vergangenen zwei Jahren einiges ab: Trotz hauchdünner Mehrheiten im Kongress setzte er mehrere milliardenschwere Investitionspakete durch. Und bei der Kongresswahl im November schnitten seine Demokraten überraschend gut ab. Das gab Biden einen Schub und stärkte seine Position.

Auch international punktete der Präsident, etwa beim Ukraine-Krieg. Die USA nahmen unter ihm die alte Führungsrolle bei der Koordinierung der Krise ein. Biden inszenierte sich als Vorkämpfer der Demokratie, als der Verteidiger der freien Welt. Mit einem bildstarken Blitzbesuch in Kiew im Februar ließ er Kritiker verstummen.

Die Angriffsfläche: Der mächtigste Mann der Welt verhaspelt sich regelmäßig bei Auftritten, sucht nach Wörtern, vertauscht Zahlen, verwechselt mal Orte, mal Personen. Patzer passieren jedem, doch bei Biden häuft es sich – nicht nur, weil er seit seiner Kindheit ein Stotterproblem hat und komplizierte Wörter manchmal schlicht nicht über die Lippen bringt. Auch inhaltlich muss das Weiße Haus öfter Aussagen des Chefs nachträglich einfangen. Und stürzt er auf der Treppe zum Flugzeug, hält die Welt stets kurz den Atem an. Seinen Gegnern bietet all das viel Angriffsfläche.

Republikaner schlachten schon jetzt jeden Fehltritt Bidens für ihren Wahlkampf aus. Das dürfte nur zunehmen, je älter Biden wird. Trump nennt Biden seit jeher „Sleepy Joe“, den „Schläfrigen Joe“ – obwohl er selbst auch schon 76 Jahre alt ist.

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