München – 1933 war das Jahr, in dem Hitlers Nationalsozialisten mit dem Ermächtigungsgesetz die Demokratie abschafften. Was vielen nicht bekannt ist: Nicht nur im Reichstag wurde am 23. März ein solches Gesetz erlassen, sondern am 29. April 1933 auch in Bayern. Und wie in Berlin stimmten auch in München nur die Sozialdemokraten dagegen.
Der heutige SPD-Abgeordnete und Landtagsvizepräsident Markus Rinderspacher blickt am Sonntag in einer Gedenkstunde zum 90. Jahrestag des Ereignisses auf die Widerständler zurück. Auf Grundlage seiner Rede lässt sich in Schlaglichtern auf einige der damaligen SPD-Abgeordneten zeigen, welche enormen persönlichen Konsequenzen ihre Entscheidung für sie alle 17 hatte.
Wilhelm Hoegner, später Ministerpräsident von Bayern, beschreibt in seinen politischen Erinnerungen die dramatische Lage, mit der sich die Abgeordneten im April 1933 konfrontiert sahen. „In unserer Fraktionssitzung, die vor der Landtagseröffnung stattfand, bekamen wir zum ersten Mal ein anschauliches Bild, wie es in den Konzentrationslagern des Dritten Reiches zuging“, schreibt Hoegner. „Der sozialdemokratische Abgeordnete Poeschke aus Erlangen, der eben aus Dachau entlassen war, humpelte mühsam, verbeult und zerschlagen ins Zimmer. Wir zogen ihm das blutige Hemd vom Leib. Vom Nacken bis zu den Oberschenkeln und Ellenbogen war die Haut blauschwarz verfärbt, an vielen Stellen geplatzt, das rohe Fleisch von Blutgerinseln verklebt.“ In Dachau habe man Poeschke zuerst in eine Zelle gesteckt und ihn, Gesicht gegen die Wand, ungefähr eine Stunde stehen lassen. „Hinter ihm, unter der offenen Zellentür stand ein SS-Mann, der von Zeit zu Zeit das Schloss seines Gewehres knacken ließ. Er drohte, bei der geringsten Bewegung zu schießen“, schreibt Hoegner. Danach hätten die Prügel begonnen.
Unter diesen Eindrücken tritt später der SPD-Fraktionsvorsitzende Albert Roßhaupter im Landtag ans Rednerpult. Er ist 55 Jahre alt und war bereits Staatsminister. Mit „nachdrücklicher, fast herausfordernder Stimme“, wie Hoegner sich später erinnert, erklärt Roßhaupter, dass seine Fraktion einem Ermächtigungsgesetz nicht zustimmen werde. Man könne von Anhängern seiner Partei nicht erwarten, „dass sie feige ihre Fahne verraten“.
Nach der Sitzung sind den Nazis keine demokratischen Grenzen mehr gesetzt. In den folgenden Wochen werden bis auf Wilhelm Hoegner und Parteichef Erhard Auer alle SPD-Abgeordneten in Polizeigefängnisse oder KZs gebracht. Einige – wie der spätere Erlanger Oberbürgermeister Poeschke – können ins Ausland fliehen. Der Parlamentarische Geschäftsführer Fritz Endres wird im Juni 1933 gemeinsam mit seinem damals 33-jährigen Sohn Hans im KZ Dachau der berüchtigten „Strafkompanie“ zugeteilt. Nach seiner späteren Freilassung steht er unter Polizeiaufsicht und findet lange keine Arbeit.
Endres überlebt die Nazi-Zeit. Sein Parteifreund Clemens Högg erliegt nach grausamen Folterungen in mehreren Konzentrationslagern im KZ Bergen-Belsen kurz vor Kriegsende seinen schweren Verletzungen. Der Oberpfälzer Alfons Bayer stirbt bereits 1940 in Nazi-Haft.
Wieder andere, wie der Straubinger Abgeordnete Josef Laumer oder Franz Bögler aus Ludwigshafen sind im Widerstand aktiv und werden zu Haftstrafen verurteilt. Adolf Ludwig aus Pirmasens schließt sich der französischen Résistance an und überlebt die Nazizeit mit seiner Familie in der Gascogne.
„Ausnahmslos alle die NS-Zeit überlebenden Abgeordneten engagieren sich beim Aufbau der deutschen Demokratie nach 1945 in zum Teil ausgesprochen verantwortungsvollen Positionen“, schreibt Rinderspacher in seiner Rede. Neben dem zweimaligen Ministerpräsidenten Hoegner nimmt dabei Roßhaupter als Arbeitsminister eine prominente Rolle ein.