Gmund – Garri Kasparow ist prominente Auftritte gewohnt. In seinem ersten Leben war er Schach-Weltmeister, selbst unter den wichtigsten Großmeistern gehörte er zu den Allergrößten. Noch tieferen Respekt aber hat er sich als Oppositionspolitiker in Russland erworben, auch wenn er das Land 2013 aus Sorge um seine Sicherheit verlassen hat. Die Veranstalter des Ludwig-Erhard-Gipfels bezeichnen ihn als „informellen Oppositionsführer“. In Gmund erhält er dafür gestern ihren Freiheitspreis.
Frieden und Freiheit, das ist der Rahmen, in dem wenig später auch Ricarda Lang, Friedrich Merz, Lars Klingbeil und Christian Lindner das Podium betreten. Wenn die Partei-(Co-)Chefs von Grünen, CDU, SPD und FDP in Berlin zusammenkommen, rumpelt es auch mal kräftiger, aber in dieser Viererrunde ist das zunächst anders. Da geht es so harmonisch zu, dass der Moderator irgendwann anmerkt, man merke nicht, wer welchem Lager angehöre, Regierung und Opposition. „Wir werden schon noch liefern“, beruhigt ihn Klingbeil.
Aber so weit liegt man eben auch nicht auseinander beim grundsätzlichen Blick auf die aktuelle Lage. Das Gefühl, dass die Bürger nicht unendlich belastbar sind, kennen sie alle. Lang berichtet von ihrer Mutter, die sich fragt, wie sie die nächste Heizung bezahlen soll. Merz sieht sich genötigt, das Offensichtliche zu betonen: „Morgen geht die Welt nicht unter.“ Es seien unruhige Zeiten, sagt Klingbeil, das werde auch so bleiben. Lindner immerhin lobt die Resilienz der Bürger, rätselt aber, ob es in der politischen Debatte „genug gesunden Menschenverstand gibt“.
Von da ist es nicht mehr weit zum Gebäudeenergiegesetz, das das Land nun schon eine ganze Weile in Atem hält. Die Wahl zwischen Öl, Gas und Wärmepumpe beschäftigt nicht nur Mutter Lang. „Natürlich wird es sehr ruckelig werden“, räumt Klingbeil ein, aber wichtig sei das Signal, dass man als Bundesregierung „die Leute nicht im Stich lassen“ werde.
Wobei: So pauschal lässt sich das auch nicht sagen. Denn zumindest ein Bestandteil dieser Regierung ist ja bereits unmittelbar nach der Vorstellung des Entwurfs auf Distanz gegangen. „Es wird nicht gelingen, ein ineffizientes Gesetz mit dem Geld der Steuerzahler praxistauglich zu machen“, prophezeit FDP-Chef Lindner. Sein Nebenmann Merz hört es gerne: „Bei so einer Regierung braucht es keine Opposition.“
Der kernigere Teil der Debatte ist da schon in vollem Gange. Beim Thema Migration warnt Klingbeil, „höllisch aufzupassen“, welchen Ton man anschlage. Lindner gibt zu bedenken, man müsse denen die Einwanderung leichter machen, die man haben wolle (Fachkräfte), diejenigen, die nicht bleiben können, dafür zügig zur Ausreise bewegen. Schwieriges Thema. Die Sorge, der AfD eine Vorlage zu liefern, plagt alle.
Der Talk wird den Erwartungen als markanter Abschluss des Gipfels jedenfalls gerecht. Die Veranstaltung am Tegernsee hat sich seit der Premiere 2016 zu einem wichtigen Forum für Meinungsführer aus Politik, Wirtschaft und Medien entwickelt. Ein Beleg ist die Anwesenheit Kasparows, der eigens aus New York angereist ist, ein anderer der Auftritt der vier Parteichefs. Die Runde ist illuster, und als alles vorbei ist, verschwimmen die Grenzen zwischen Regierung und Opposition sofort. Merz und Lindner stehen beieinander, Lang allein. Und Klingbeil ist schon weg, als die Abmoderation kaum verklungen ist.