Gegenoffensive hinter der Front

von Redaktion

VON ANDREE BALLIN UND ANDREAS STEIN

Saporischschja – Während Beobachter im Westen auf die große Panzerschlacht in der Ukraine warten, deutet vieles darauf hin, dass die lang angekündigte Gegenoffensive bereits an ganz anderer Stelle begonnen hat. Eine beispiellose Serie von Drohnen- und Sabotageangriffen trifft derzeit den Südwesten Russlands und die von Moskau besetzten Gebiete der Ukraine.

Die Schlagzeilen gehörten zuletzt einer mutmaßlichen Drohnenattacke auf den Kreml. Doch während dieser Anschlag noch viele Fragen aufwirft und es für eine Beteiligung Kiews keine Beweise gibt, folgen die Angriffe auf Objekte im Südwesten Russlands und der von Moskau besetzten Schwarzmeer-Halbinsel Krim einer klaren Logik: Es geht um die Zerstörung der Nachschublinien für die russischen Besatzungstruppen in der Ukraine.

Dazu wurden in der Region Brjansk Schienen gesprengt und zwei Güterzüge zum Entgleisen gebracht. Auf der Krim explodierte am Wochenende ein Treibstofflager, das der Versorgung der russischen Schwarzmeerflotte diente. Am Mittwoch brannte gegenüber der von Russland annektierten Halbinsel im russischen Gebiet Krasnodar ein weiteres Kraftstoffdepot in einem Umschlagterminal für Öl und Ölprodukte aus. 17 Stunden kämpften mehr als 200 Feuerwehrleute mit den Flammen. 20 000 Kubikmeter Treibstoff fackelten ab. Und 24 Stunden später geriet ebenfalls im Gebiet Krasnodar das Tanklager einer Ölraffinerie in Brand.

„Es läuft die planmäßige Vernichtung unserer Treibstofflager im Vorfeld der strategischen Offensive der ukrainischen Streitkräfte, um unseren Kräften den Kraftstoff zu nehmen“, klagte der ultrarechte ehemalige Duma-Abgeordnete Viktor Alksnis auf Telegram. Zugleich warf er der russischen Armee vor, nicht ähnlich zielstrebig die ukrainischen Reserven zu bombardieren.

Laut dem deutschen Militärökonom Marcus Keupp hat damit die zweite Phase der Offensive nach der Aufklärung der Schwachstellen etwa durch Satellitenbilder begonnen. Mit Artillerie- und Drohnenfeuer werde im Hinterland die Versorgung der feindlichen Truppen unterbrochen. Erst in der dritten Phase gehe es darum, die massiven Wehranlagen, die die Russen in den besetzten Gebieten der Ukraine nahe der Front errichtet haben, zu zerstören, um dann mit Panzern vorzurücken. „Das heißt also, das wird der Abschluss sein, nicht der Beginn“, sagte er im Deutschlandfunk.

Auf diesen sichtbaren Vorstoß, der sich in der Rückgewinnung von Gebieten dann darstellen lässt, ist die Ukraine laut Nato-Vertretern zu „98 Prozent“ vorbereitet. Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow sieht sich ebenfalls kurz vor der „Zielgeraden“. Hunderte Panzer und Schützenpanzer, Haubitzen, Raketenwerfer, Flugabwehr und Tonnen an Munition hat Kiew demnach erhalten. Bis zu 80 000 Soldaten – nach russischen Quellen sogar weitaus mehr – sollen extra für diese Angriffsoperation teils in Nato-Staaten ausgebildet worden sein und bereitstehen.

Doch wurden im Westen nach dem Durchsickern von Erkenntnissen des US-Geheimdienstes immer lauter Zweifel an einem Erfolg der Offensive im Frühjahr angemeldet. Kiew gibt sich trotzdem zuversichtlich. „Ich glaube sehr, dass sie erfolgreich wird und wir unsere Gebiete befreien können“, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj kürzlich. „Wir brauchen einen Erfolg.“

Einige russische Kommandeure erwarten einen ukrainischen Vorstoß auf die vor einem Jahr von Russland eroberte Hafenstadt Mariupol im Donezker Gebiet. „Das ist sofort eine Bedrohung für Donezk, ein unschätzbarer politischer Effekt und durchtrennt den Landkorridor auf die Krim“, schrieb der für Russland kämpfende Separatistenkommandeur Alexander Chodakowski bei Telegram. Ortskenntnis, eine zum Teil loyale Bevölkerung und fehlende russische Kräfte für eine zweite Eroberung könnten aus Sicht Kiews dafür sprechen.

Allerdings gibt es auch verstärkte Angriffe der Russen auf Kiew. Am Donnerstagabend wurden aus der Hauptstadt Drohnen-Attacken und mehrere Explosionen sowie ein einstündiger Luftalarm gemeldet.

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