Heftige Kämpfe auf russischem Boden

von Redaktion

VON KLAUS RIMPEL

Belgorod – Bilder von eroberten Armeefahrzeugen und von einem getöteten russischen Soldaten sollten belegen: Die Legion „Freiheit für Russland“ und die Miliz „Russisches Freiwilligenkorps“ haben die Kontrolle in der Grenzregion Belgorod erlangt. Zumindest kurzfristig: Nach zwei Tagen der Kämpfe und Evakuierung aller Zivilisten aus dem Ort Graiworon erklärte die russische Armee gestern, die pro-ukrainischen Angreifer seien zurückgedrängt und „eliminiert“ worden. Die nationalistischen Gruppierungen seien bei einem „Anti-Terror-Einsatz“ mit Luftangriffen und Artilleriefeuer „aufgehalten und zerstört“ worden. 70 „ukrainische Terroristen“ seien getötet worden, erklärte die zuvor von russischen Bloggern heftig kritisierte Armeeführung weiter.

Bei der Legion „Freiheit für Russland“ und der Miliz „Freiwilligenkorps“ handelt es sich um auf ukrainischer Seite kämpfende Gruppen von Russen, die sich bereits zu früheren Attacken in der Region bekannt hatten. Der Angriff rufe „tiefe Besorgnis“ hervor, sagte Kreml-Sprecher Peskow. Der Kreml sieht die Angriffe als Bestätigung dafür, die „militärische Spezialoperation“ gegen die Ukraine fortzusetzen. Kiew wies jede Beteiligung an dem Überfall auf russisches Territorium zurück. Der ukrainische Präsidentenberater Michail Podoljak sprach von „russischen Guerilla-Gruppen“.

Die Legion „Freiheit für Russland“ hatte zuvor erklärt, sie wolle eine „entmilitarisierte Zone entlang der Grenze“ schaffen. So solle verhindert werden, dass russisches Militär die Ukraine beschieße. Im Internet wurde auch ein Video veröffentlicht, in dem ein Sprecher in Tarnanzug „Russland wird frei sein“ ruft, eine häufig von russischen Oppositionellen benutzte Parole.

In der russischen Grenzregion zur Ukraine hatte es immer wieder vereinzelte Attacken gegeben, jedoch nicht in diesem Ausmaß. Jetzt wurden bei den Angriffen auch Granaten und schweres Gerät wie gepanzerte Fahrzeuge eingesetzt, wie auf im Internet kursierenden Bildern zu sehen ist.

Der Sicherheitsexperte Prof. Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität München sieht in der Operation eine „Riesen-Blamage für die russische Grenzsicherung“: „Wenn die Informationen stimmen, dass diesmal anders als bei früheren Angriffen in der Region Belgorod nicht nur ein paar Männer, sondern gepanzerte Fahrzeuge auf russischem Boden kämpfen, hat das eine neue Qualität“, so Masala gegenüber unserer Zeitung.

Einer der Anführer der russischen Guerilla-Kämpfer soll der in Moskau geborene Neonazi Denis Kapustin alias Nikitin sein, der 2001 mit seiner Familie als angeblich jüdischer Kontingentflüchtling nach Köln kam.

Wegen seiner rechtsextremen Bestrebungen wurde Nikitin 2019 aus Deutschland ausgewiesen. Er ging in die Ukraine, wo er mit anderen Russen das „Freiwilligenkorps“ gründete, das jetzt am Überfall auf Belgorod beteiligt gewesen sein soll und bereits im März 2023 russisches Gebiet attackiert hatte. Der 38-jährige Nikitin behauptete zwar in einem Interview der „Financial Times“, er habe bei den früheren Attacken auf russisches Gebiet indirekte Unterstützung ukrainischer Militärs bekommen. Doch Kiew bestreitet das.

„Freiheit für Russland“ und Nikitins „Freiwilligenkorps“ sind kein offizieller Bestandteil der in die ukrainische Armee eingegliederten Internationalen Legion. Sicherheits-Experte Masala sieht in der Tatsache, dass hinter den Angriffen fragwürdige Extremisten stehen, keine Bestätigung für Putins Narrativ, wonach die Ukraine von Nazis regiert werde: „Das sind ja ihre eigenen russischen Nazis, keine Ukrainer“, so Masala.

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