Der unaufhaltsame Erdogan

von Redaktion

VON MIRJAM SCHMITT

Istanbul – Der türkische Präsident lässt sich feiern. Recep Tayyip Erdogan steht vor seinem Palast in Ankara, Tausende jubeln ihm mit türkischen Fahnen zu. „Unsere Demokratie hat gesiegt“, sagt er. Niemand der 85 Millionen Türken habe verloren, gibt er sich zunächst versöhnlich – und wirft der Opposition wenig später Verbindungen zu Terroristen vor.

Erdogan hat die Stichwahl gegen seinen Herausforderer Kemal Kilicdaroglu gewonnen, und damit seine Macht nach 20 Jahren an der Spitze der Türkei noch einmal zementiert. Er erhielt rund 52 Prozent der Stimmen, Kilicdaroglu rund 48 Prozent. Währungskrise, schlechtes Krisenmanagement nach der Erdbeben-Katastrophe im Februar und hartes Vorgehen gegen Regierungsgegner, all das konnte Erdogan am Ende nichts anhaben.

Die Opposition, die in einem Sechser-Bündnis angetreten war, beklagte einen unfairen Wahlkampf. Sie hatte gehofft, das Land nach einem Wahlsieg demokratisieren zu können. Ihre Anhänger sind am Boden zerstört. Kilicdaroglu ist der Ansicht, die Wahl zeige trotz Erdogans Sieg, dass das Volk den „Wechsel einer autoritären Regierung“ wolle.

Beobachter befürchten aber, dass Erdogan in Zukunft noch autoritärer regiert. Seinen Wahlerfolg verdankt er auch der Unterstützung einer islamistisch-nationalistischen Allianz. Das könnte in Zukunft seine Politik prägen. „Erdogan hat den Charakter des Staates geändert. Er hat es geschafft, den türkischen Staat von einem laizistisch-nationalistischen in einen islamistisch-nationalistischen zu wandeln. Und das wird er weiter vorantreiben“, sagt Asli Hürcan Aksoy vom Zentrum für Türkeistudien (CATS).

Nach Erdogans Sieg zelebrierten Innenminister Süleyman Soylu und tausende Anhänger ihr Morgengebet in die Hagia Sophia in Istanbul. 2020 hatte Erdogan die einstige Kirche trotz internationalen Protests von einem Museum in eine Moschee umwandeln lassen – ein Geschenk an seine religiöse Klientel. Ebenfalls symbolisch: Sein Sieg fiel auf den 10. Jahrestag der regierungskritischen Gezi-Proteste, die Erdogan, damals Ministerpräsident, niederschlagen ließ.

Das macht die Niederlage für die Opposition umso bitterer. Sie schaut mit Entsetzen auf Erdogans Partner: Mit der islamistisch-kurdischen Hüda Par und der islamistischen Yeniden Refah hat Erdogan zwei Parteien ins Parlament geholt, die LGBT-und frauenfeindliche Politik machen. Die Hüda Par etwa will den Schutz der „traditionellen“ Familie vor „abweichenden“ Ideologien durchsetzen und Mädchen und Jungen getrennt unterrichten.

Die größte Herausforderung für Erdogan nach der Wahl wird die Wirtschaft sein. Die massive Inflation von 44 Prozent ist Experten zufolge auch hausgemacht, weil Erdogan entgegen gängiger wirtschaftlicher Logik an seiner Niedrigzinspolitik festhält. Trotzdem konnte er seine Anhänger davon überzeugen, dass er keine Schuld an der wirtschaftlichen Lage trägt. Die Wirtschaftsprofessorin Selva Demiralp warnt, wenn Erdogan nicht zur konventionellen Wirtschaftspolitik zurückkehre, werde es sehr schwierig, den angerichteten Schaden wiedergutzumachen. Die Türkei erwarteten „sehr kritische Tage“.

Die Sechser-Allianz um Kilicdaroglu wiederum hat es nicht geschafft, einer Mehrheit zu vermitteln, dass der Oppositionsführer die bessere Alternative zu Erdogan sei. In der ersten Runde setzte sie auf einen positiven Wahlkampf und versöhnliche Rhetorik. Vor der zweiten Runde folgte dann die Kehrtwende. In einem verzweifelt anmutenden Versuch, ultranationalistische Wähler auf seine Seite zu ziehen, befeuerte Kilicdaroglu eine Antiflüchtlingsrhetorik. Er ging einen Pakt mit einem rechtsnationalen Politiker ein. Die 180-Grad-Wende kam auch in eigenen Reihen nicht gut an – und vor allem nicht bei den kurdischen Wählern.

Mit eine Lösung des Kurdenkonflikts darf die Minderheit nicht rechnen. Zudem ist auch das Parlament, in dem Erdogans Allianz eine Mehrheit hält, das nationalistischste in der Geschichte der Türkei. Erdogan sagte in seiner Siegesrede, der seit 2016 inhaftierte ehemalige HDP-Chef Selahattin Demirtas komme nicht aus dem Gefängnis, „solange wir an der Macht sind“ – obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dessen Freilassung angeordnet hatte.

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