Berlin/München – Es ist noch früh am Morgen, aber Karl Lauterbach warnt schon vor Tod und Verderben. „Wir stehen am Beginn eines unkontrollierten Krankenhaus-Sterbens“, sagt der Bundesgesundheitsminister (SPD). Und droht: Entweder werden seine Gesetzespläne beschlossen, oder jede vierte Klinik geht unter. „Ohne die Reform würden wohl 25 Prozent der Krankenhäuser sterben.“
Scharfe Worte, bewusst gewählt an diesem Tag. Per Interview in der „Bild“ und mit einem Früh-Auftritt im ZDF stimmt Lauterbach die Republik auf die nächste Runde im Streit um die Klinik-Reform ein. An diesem Tag trifft er die Gesundheitsminister der Länder. Und wiederholt deshalb vorab seine Grundlinie: „Wir haben sehr viele Krankenhäuser. Sie können nur überleben, wenn sie sich spezialisieren. Es kann nicht jeder alles machen.“
Das ist ein Herzstück seiner geplanten Reform: Er will die 1719 Kliniken in drei Kategorien einteilen, Grundversorger wie viele bisherige Kreiskrankenhäuser, Regionalversorger und Maximalversorger wie die Uni-Kliniken. Komplexe Krebstherapien und komplizierte Operationen sollen nur noch wenige Häuser anbieten, dafür auf Top-Niveau.
Das klingt schlüssig, ist politisch aber schwer vermittelbar, vor allem in Flächenländern. Das heißt ja auch, dass hunderte Kreiskliniken zu einer Art größere Ambulanz herabgestuft werden könnten. Patienten in vielen Regionen Bayerns müssten plötzlich für ihre Behandlung weit fahren. Das ist einer der Aspekte, warum unter anderem Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) energisch gegen die Pläne des Kollegen kämpft. Qualität ist wichtig, argumentiert er, zur Qualität eines Krankenhauses gehöre aber, dass es für die Patienten erreichbar sei.
Lauterbach verschärft den Ton nun spürbar. Neulich wies er einen „Bild“-Bericht zur drohenden Schließung jeder zweiten Klinik noch in aller Schärfe zurück, nun redet er selbst von jeder vierten Klinik: „Das System ist kaputt.“
Zudem droht er den Ländern: Auch wenn es keine Einigung und keine Krankenhausreform gebe, könne er die Daten über die Versorgungsqualität jeder einzelnen Klinik für die Bürger öffentlich vorlegen. Eine interaktive Landkarte sei denkbar, wo für jede Leistung – Mandel-OP bis Leistenbruch – die Qualität von Kliniken nachgeschaut werden kann. Für regionale Politiker, die um ihre Standorte kämpfen, kann das unschöne Nachrichten beinhalten. Oder, wie er fast zynisch sagt: „Viele der kleinen Kliniken überleben derzeit nur, weil sie diejenigen behandeln, die von den Qualitätsunterschieden nichts wissen.“ Lauterbach kündigt an, der Bund werde auch gegen den Willen der Länder „die Qualitätsunterschiede transparent machen“.
Inhaltlich ist die Bund-Länder-Runde trotzdem ein gutes Stück weitergekommen. Lauterbach sieht gar einen Durchbruch. „Die Grundstruktur der Reform steht“, sagt er am Nachmittag. Er sei zuversichtlich, nun bis Sommer Eckpunkte und über den Sommer einen Entwurf für ein Gesetz hinzubekommen, damit die Reform Anfang 2024 an den Start gehen könne. Dabei soll das Vergütungssystem mit Pauschalen für Behandlungsfälle geändert werden, um die Krankenhäuser von wirtschaftlichem Druck zu lösen. 60 Prozent sollen künftig über Vorhaltepauschalen bezahlt werden. Auch ist nach Angaben von Landesministern klar: Welche Klinik wo steht, wird weiterhin nicht zentral aus Berlin verordnet. Die Länder sollen zudem beim Gesetzentwurf mitreden.
Lauterbachs drei Kategorien sind weiterhin umkämpft, er rückt davon nicht ab; Bayern akzeptiert sie nicht. CSU-Minister Holetschek mag auch deshalb auf Nachfrage nicht von einem Durchbruch sprechen. Man habe sich in vielen Bereichen bewegt, sagt er lediglich. Die nächste Bund-Länder-Runde ist für den 29. Juni geplant.