Die heikle Rom-Reise des Kanzlers

von Redaktion

VON MIKE SCHIER UND CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

München – Es ist noch nicht lange her, da wurde über Giorgia Meloni in Berlin nie ohne den Zusatz „Postfaschistin“ gesprochen. Der „Spiegel“ mahnte den Kanzler vor seiner Reise nach Rom noch einmal, er dürfe „Melonis Gefährlichkeit nicht unterschätzen“. Am Donnerstagmittag aber steht Olaf Scholz neben dieser „gefährlichen Postfaschistin“ und macht einen recht zufriedenen Eindruck. Man arbeite „eng und vertrauensvoll“ zusammen, sagt der SPD-Politiker. Italien sei ein „verlässlicher Freund“.

Was nach diplomatischen Floskeln klingt, ist in Wahrheit ein großer Schritt, der daheim bei SPD-Linken oder Grünen sicher nicht nur Beifall auslöst. Berlin bemüht sich intensiv, mit Rom eine gemeinsame Linie zu finden. Während Scholz und Meloni vor den Kameras stehen, versuchen die EU-Innenminister in Luxemburg hinter verschlossenen Türen einen Kompromiss beim Thema Asyl zu finden. Auch die rechte Regierung in Rom und die linke in Berlin müssen dafür auf einen Nenner kommen.

„Italien wurde ziemlich alleine gelassen“, sagt Meloni über die letzten Jahre der Migrationspolitik. Und Scholz neben ihr klagt indirekt über die Durchwinkerei einiger Staaten. Deutschland habe keine EU-Außengrenze, dennoch seien 80 Prozent der ankommenden Asylbewerber nirgends registriert worden. Und doch ist eine Annäherung herauszuhören. „Alle Versuche, die Probleme bei jemand anderem zu lassen oder mit dem Finger auf andere zu zeigen, werden scheitern“, sagt Scholz. Und Meloni orakelt davon, „einander die Hand zu reichen“, statt Migranten von einem EU-Land zum nächsten zu schieben. Sie betont: „Wir müssen die Außengrenze der EU verteidigen.“ Man habe da „weitestgehend Konsens“.

Mit der Konsensfindung jedoch tun sich die EU-Innenminister bei ihrem Treffen in Luxemburg schwer. Zwischenzeitlich sieht es so aus, als würden Italien und Griechenland die Reformpläne kippen, als sie gemeinsam erklären, sie könnten einem neuen Kompromissvorschlag der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft ohne Änderungen nicht zustimmen.

Am Abend dann der Durchbruch in den Verhandlungen. Eine ausreichend große Mehrheit der Mitgliedsstaaten stimmt für umfassende Reformpläne, wie der schwedische Ratsvorsitz erklärt. Konkret sollen vor allem Migranten ohne Bleibeperspektive gar nicht erst in die EU kommen. Dafür soll es Asylzentren in Grenznähe geben, von wo aus Migranten direkt abgeschoben werden sollen. Die Frage, ob Italien solche Zentren auf seinem Gebiet dulden würde, lässt Meloni in Rom unbeantwortet. Österreich fordert in Luxemburg sogar Asylverfahren in sogenannten sicheren Drittstaaten, beispielsweise Tunesien oder Algerien.

In die Debatte mit Tunesien kommt Bewegung. Meloni war dort erst zu Gast, am Sonntag wird sie wieder nach Tunis aufbrechen, diesmal in Begleitung von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dem niederländischen Regierungschef Mark Rutte. Als einer der ersten hatte EVP-Chef Manfred Weber einen Migrationspakt mit Tunesien gefordert. Der CSU-Politiker war es auch, der Deutschland zu einem pragmatischen Umgang mit Meloni aufrief – und dafür auch aus den eigenen Reihen kritisiert worden war. Dass Scholz und die Italienerin nun an einem Strang ziehen, dürfte eine Genugtuung sein.

Neben den verschärften Asylverfahren sehen die am Donnerstag beschlossenen Pläne auch eine Pflicht zur Solidarität mit den stark belasteten Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen vor. Wer sich weigert, Flüchtlinge aufzunehmen, muss Ausgleichszahlungen leisten. Länder wie Ungarn stimmten deshalb gegen die Reform. Länder wie Italien könnten profitieren.

Denkbar ist allerdings, dass das EU-Parlament noch Änderungen durchsetzt. Die ausstehenden Verhandlungen sollen im Idealfall vor Ende des Jahres abgeschlossen werden. Dann könnten die Gesetze noch vor der Europawahl im Juni 2024 beschlossen werden. (mit dpa)

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