Eine Zerreißprobe für die Grünen

von Redaktion

VON MARTINA HERZOG

Berlin – Mit solcher Erbitterung haben die Grünen lange nicht mehr öffentlich gestritten. Die Einigung der EU-Staaten auf eine Verschärfung der Asylverfahren spaltet die Partei oder besser gesagt: die Zustimmung des eigenen Führungspersonals zu dieser Reform, ohne die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) den Kompromiss in Luxemburg nicht hätte unterstützen können. „Die deutsche Zustimmung war falsch“, sagt der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin der „Rheinischen Post“. „Europas Flüchtlingspolitik wurde auf ein Niveau der Schäbigkeit harmonisiert.“

Vorgesehen in den nun vereinbarten Reformplänen ist insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Migranten aus Ländern, die als relativ sicher gelten (siehe Text unten). Die EU-Staaten gehen damit noch in die Verhandlungen mit dem Europaparlament.

Das schmälert allerdings nicht die Verantwortung der Grünen. Der Vorsitzende des Europaausschusses des Bundestags, Anton Hofreiter, lässt im Redaktionsnetzwerk Deutschland wissen: „Angesichts des höchst problematischen Asyl-Kompromisses muss man von der gesamten Grünen-Führung jetzt erwarten, dass sie ihr Möglichstes tut, damit die Asylrechtsverschärfung in dieser Form nicht kommt.“

Dass konflikterprobte und erfahrene Politiker wie Trittin und Hofreiter mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg halten, ist Routine. Doch selbst die beiden Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour machen ihre Ablehnung (Lang) und Zustimmung (Nouripour) kurz nach dem Beschluss öffentlich.

Die Stimmung in der Partei wird als wütend beschrieben. Die Führung gibt keine Linie vor, jenseits des frommen Wunsches nach Dialog und Respekt für die Position der anderen. Niemand jubelt, selbst die grünen Befürworter haben Bauchschmerzen.

Viele Unzufriedene kritisieren Innenministerin Faeser. Nicht nur Trittin meint, sie habe den anstehenden Landtagswahlkampf in Hessen im Kopf gehabt. Das ändert nur nichts daran, dass sich Faeser ohne die Zustimmung der Grünen mindestens hätte enthalten müssen.

Es ist ein Konflikt, der die traditionelle Teilung der Grünen in linken und Realo-Flügel vertiefen könnte. Zwar ordnen sich die meisten der Grünen einer der beiden Gruppierungen zu, große Streitigkeiten tragen sie entlang dieser Linien aber in der Regel nicht mehr aus. Als Parteichefs forcierten die heutigen Minister Annalena Baerbock und Robert Habeck einen gemeinsamen Kurs. Nun kursiert die Sorge, dass Ordnungslinien wieder zu tiefen Gräben aufbrechen könnten.

Baerbock streicht bei ihrem Besuch in Kolumbien am Donnerstag einen Teil ihres Programms, um in Videoschalten mit Partei und Fraktion für den Kompromiss zu werben. „Kein Kompromiss hätte bedeutet, dass gar keine Geflüchteten mehr verteilt werden“, schreibt Baerbock in einem Brief an ihre Bundestagsfraktion. Der Kleine Parteitag am 17. Juni könnte nun zum Kristallisationspunkt für den Ärger rund um die Entscheidung werden.

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