Frau Klemens: Der Fachkräftemangel wird immer größer. Wie verändert das die Position der Arbeitnehmer?
Arbeitnehmer müssen sich nicht mehr alles gefallen lassen. Die Bedingungen sind für viele deutlich besser geworden.
Bezahlen Arbeitgeber flächendeckend jetzt mehr?
Flächendeckend würde ich nicht sagen. Es wird ja nur jedes zweite Arbeitsverhältnis durch einen Tarifvertrag geregelt. Wer nicht im Tarif ist, muss erst mal auf das Niveau kommen. Grundsätzlich gilt aber: Wenn die Ware – also die Arbeitskraft – knapp ist, kostet sie mehr.
Welche Branchen legen gerade besonders nach?
In der IT werden händeringend Fachkräfte gesucht. Wir erleben es aber auch in der Pflege und bei den Kitas: Wenn die Arbeitsbedingungen nicht gut sind und ein anderer Träger oder eine andere Kommune einen Zuschlag zahlt, motiviert das zum Wechsel. Das gilt auch für die Altenpflege. Ein prominentes Beispiel war kürzlich der Streik der polnischen Lkw-Fahrer. In allen Branchen, die besonders anstrengend sind, gesundheitsgefährdend oder schlecht bezahlt, überlegen sich Arbeitnehmer jetzt natürlich, wo sie höhere Forderungen durchsetzen können.
Hat sich die Wechselbereitschaft erhöht?
Das kann man auf jeden Fall so sagen. Dass man sein ganzes Berufsleben bei einem Unternehmen verbringt, dieses Phänomen hat ohnehin nachgelassen. Auch die Frage, wo das ganze Personal aus der Gastronomie hin ist, lässt sich beantworten: Dahin, wo es mehr Geld gibt oder die Arbeitsbedingungen besser sind. Viele Minijobber haben sich zum Beispiel Festanstellungen gesucht.
Gibt es Branchen, wo es für Arbeitnehmer schwerer ist, mehr rauszuholen?
In den Branchen, wo wir Tarife verhandeln, sehe ich das nicht. Wir haben gute Abschlüsse erzielen können. Vielleicht ist es in Branchen ohne Tarifbindung schwieriger. Aber auch da bewegt sich viel. Die Leute, die in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit jeden Job angenommen haben, müssen das nicht mehr. Und da gilt: Ein Geschäftsmodell, das nur zulasten der Menschen funktioniert, ist kein Geschäftsmodell. Das kommt aber bei den Unternehmen an: Viele investieren jetzt in Fortbildungen, weil sie die Funktionen nicht anders besetzt bekommen. Das ist dann gut für Arbeitnehmer, weil sie aufsteigen können.
Und ältere Arbeitnehmer?
Früher gehörte man mit 55 zum alten Eisen, das ändert sich. Auch die Betriebsräte berichten uns, dass die Personalabteilungen jetzt Leute einstellen, die ihnen früher zu alt gewesen wären.
Werden jetzt auch mehr Frauen angeworben?
Wir glauben schon, dass mehr Frauen mehr arbeiten und dabei besser verdienen werden – die geschlechtsbedingte Lohnlücke wird kleiner. Da hat sich vieles verbessert, auch die Möglichkeit, flexibler zu arbeiten.
Wie kann man seine Chance jetzt nutzen?
Gute Vorbereitung: Schauen, was sind die Tariflöhne in der Branche, wie ist die Ausstattung im Büro, welchen Ruf hat der Arbeitgeber. Und dann selbstbewusst ins Gespräch gehen.
Was zählt außer Geld?
Arbeitszeit ist ein großer Punkt: Kann ich weniger arbeiten, wenn ich das will? Passen die Arbeitszeiten zu meinem Lebensmodell? Aber auch: Gibt es ein Jobticket oder mobiles Arbeiten. Das sind alles Aspekte, die man im Vorstellungsgespräch anbringen sollte, weil sie das Leben leichter machen.
Interview: Matthias Schneider